Spätestens seit Beginn dieses Jahres gehört Lieferbarkeit zu den Wörtern, bei dem beinahe jeder schmerzvoll das Gesicht verzieht, der mit Fahrrädern zu tun hat. KundInnen, Hersteller, Zulieferer, Händler – egal. Schuld ist nicht nur die schon mehrfach erwähnte Knappheit an Komponenten wie Federgabeln, Schaltungen oder Bremsbelägen. Gerade E-Bikes sind längst vollgepackt mit Elektronik. Deshalb verschärft der Engpass in der Halbleiterindustrie zusätzlich die aktuelle Lage.
Namhafte Hersteller spüren Druck
Im Mai bestätigte Dr. Ing. Thomas Leicht, Leiter Geschäftsbereich Antriebstechnik bei der Brose Fahrzeugteile SE & Co. KG., dass Elektronikchips derzeit in allen Industrien nachgefragt werden. „Für den Endverbraucher dürften diese aktuellen Entwicklungen leider erst mal zu längeren Wartezeiten und höheren Preisen führen“, sagte Leicht gegenüber dem Handelsblatt. Schon im Frühjahr sei die Versorgungslage gerade bei elektronischen Bauteilen wie Chips, die fast ausschließlich aus Asien kämen, global angespannt. Auf Radfahren.de sagte Leicht: „Auch wir spüren die Engpässe am Weltmarkt deutlich, deshalb verwenden wir viel Energie darauf, die Versorgung von Microprozessoren sicherzustellen.“
Betrachtet man Motoren, Akkus, Sensoren für Drehmomente und Trittfrequenzen, Bedieneinheiten, Displays und Schaltungen kommen an einem E-Bike etliche elektronische Bauteile zusammen. Marktgiganten wie Audi und Daimler mussten bereits mehrfach in diesem Jahr die Produktion begrenzen. Da verwundert es kaum, dass sich der ausbleibende Nachschub an Mikroelektronik auch in der Fahrradbranche bemerkbar macht. So gehen nach Aussage von Bosch e-Bike Systems beispielsweise die derzeitigen Engpässe beim Bordcomputer Nyon direkt auf dieses Phänomen zurück. Bis Mitte oder Ende August erwarte man eine Entspannung der Situation, hieß es aus dem Unternehmen.
Die Gründe: Von Covid-19 bis Klimaphänomen
Bei der Ursachenforschung in Bezug auf den momentanen Notstand zeigt sich ein sehr gemischtes Bild.
1. Hypothek aus dem Vorjahr
Schon Ende 2020 standen Angebot und Nachfrage in keinem gesunden Verhältnis zueinander. Einen Überhang von fast einem Drittel ermittelte Harlan Sur, Chef des Halbleiter-Research bei der US-amerikanischen Investmentbank J.P. Morgan.
2. Coronapandemie
Arbeit, Schule, soziale Kontakte – vieles von dem fand in den vergangenen Monaten zu Hause statt an anderen Orten statt. Die Folge war, dass Menschen sich neue Geräte anschafften. Der Verkauf an PCs, Laptops, Monitoren, Webcams, Spielekonsolen und Fernseher schnellte in die Höhe.
3. Rohstoffknappheit
Silizium ist einer der wesentlichen Bestandteile von Halbleiterprodukten. Geht der aus, zieht das weite Kreise. Wie weit diese Kreise sind, zeigt sich gerade. Aufgrund einer Wasserknappheit produzierten chinesische Wasserkraftwerke im vergangenen Sommer weniger Strom als geplant. Die Herstellung von Silizium benötigt aber große Mengen davon. Also stand am Ende des Jahres ein Minus in der Silizium-Produktion in den Büchern. Da Halbleiter mehrere Monate bis zu ihrer Fertigstellung brauchen, wirkte sich das entsprechend verzögert aus.
4. Gau im Sueskanal
Habt ihr noch die Bilder vom blockierten Sueskanal im Kopf, auf denen sich Frachter an Frachter reihte? Der ungewollte Stopp der Ever Given sorgte dafür, dass am Ende 422 Schiffe nicht weiter Richtung Mittelmeer konnten. Dem Online-Magazin Golem.de sagte Angela Titzrath, Chefin des Hamburger Hafens, sie rechne erst August 2021 damit, dass sich der dadurch verursachte Transportnotstand auflöse.
5. Texas friert ein
Fast minus 20 Grad, wo im Winter das Thermometer kaum unter null Grad sinkt. Der Bundestaat Texas erlebte im Februar 2021 den härtesten Wintersturm seit 55 Jahren. Die Milde ist gewöhnlich einer der Gründe, warum sich Chiphersteller gern im Süden der USA ansiedeln. Diesmal warfen aber die frierenden Texaner ihre Klimaanlagen an und entzogen so den Fabriken den für die Produktion nötigen Strom. Umfangreiche Ausfälle unter anderem bei Samsung, NXP und Infineon waren die Folge.
Düsterer Ausblick
Unter den Nachwehen dieser Ereignisse haben wir voraussichtlich noch eine ganze Weile zu leiden.
Bis ins nächste Jahr werden sich die Lieferschwierigkeiten ziehen, vermutet Infineon-Chef Reinhard Ploss in einem Bericht des Handelsblatts. Noch pessimistischer fällt die Prognose von Pat Gelsinger, Chef des Konkurrenten Intel aus. Er fürchte, es dauere Jahre, bis die gestiegene Nachfrage vollends befriedigt werden könne. Diese Annahmen decken sich mit den Erwartungen von C.C. Wei. Laut eines Berichtes der Nachrichtenagentur Bloomberg sieht der Chef des weltweit größten Auftragsfertigers für Halbleiter, der Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation (TSMC), sein Unternehmen frühestens 2022 wieder in der Lage, so viel herzustellen, wie auch nachgefragt werde.
Halbleiter nicht einzige Mangelware
Nicht viel besser ist es um Kunststoffe bestellt. Auch diese sind für die Herstellung von E-Bikes unentbehrlich. Gehäuse von Motoren und Akkus, Skidplates, Ummantelungen von Kabeln, Lenkergriffe und und und. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortführen.
Entscheidend ist hier erneut weniger das Produkt an sich, als vielmehr die dafür benötigten Bausteine. Mara Hancker, Sprecherin Industrievereinigung Kunststoffverpackung (IK), berichtet beim Mitteldeutschen Rundfunk davon, dass vor allem das Rohmaterial knapp sei und Lieferfristen teilweise das Siebenfache dessen erreichten, was normal sei.
Umfragen bestätigen Lieferschwierigkeiten
In einer von der IK initiierten Befragung gaben mehr als 80 Prozent der Mitglieder der Vereinigung an, dass sie mit Lieferschwierigkeiten kämpfen würden. Ein ähnliches Ergebnis ergab eine Umfrage des Münchener ifo-Instituts. Hersteller von Gummi- und Kunststoffwaren seien von globalen Engpässen betroffen. Das Magazin elektroniknet.de berichtet, dass Hersteller von Steckverbindern, Gehäusen, Kabeln und Relais den Mangel am deutlichsten spüren würden.
Zugespitzt hat sich die Situation, weil um den Jahreswechsel herum die Nachfrage in Asien unerwartet stark gestiegen war. Mara Hankcer von der IK spricht davon, dass die Wirtschaft dort brumme und die Rohstoffe quasi aufsauge. So herrsche im Automobilbereich eine extreme Nachfrage. Noch im Herbst hatten viele Produzenten angesichts eines gesunkenen Interesses im großen Stil ihre Anlagen gewartet. Da dies mehrere Wochen dauert, wurden sie anschließend von dem Run auf die Kunststoffe überrascht.
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Bilder: Pixabay; Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation; BASF SE