Italien und ein besonderes Design von Sportfahrzeugen auf zwei Rädern – diese beiden Dinge gehören untrennbar zusammen. Zumindest besagen dies gängige Klischees. Etwas Besonderes haftet dem e-Gravel Frontier des italienischen Herstellers Vent allemal an. Ob es gefällt, könnt nur ihr selbst entscheiden.
In einer Reihe von zehn beliebigen E-Gravelbikes werdet ihr das e-Gravel Frontier ganz sicher auf Anhieb erkennen. Dafür sorgen diverse prägnanten Details. Eines davon ist eine massive Strebe, die ungefähr von der Mitte des Sitzrohres zum Oberrohr verläuft. Darin werden Teile des hinteren Federungssystems geführt und stabilisiert. Gleichzeitig kreuzt diese Linie die Dämpferanlenkung, die sich nach vorn zum Steuerrohr zieht. Von der Seite betrachtet, entstehen dadurch unterhalb des Oberrohrs mehrere verschieden große Freiräume. Zumindest auf uns wirkt das nicht sehr ausgewogenen. Als Außenstehende frage wir uns beispielsweise, warum Zwischenstrebe und Dämpferanlenkung nicht miteinander am gleichen Punkt auf das Oberrohr treffen. Zumal nur die Zwischenstrebe die exakte optische Fortsetzung der Sitzstrebe des Hinterbaus ist und der Yoke in einem ungewöhnlichen Winkel davon wegführt.
Eigenwillige Geometrie
Ins Auge fällt zudem das sich sehr stark nach hinten neigende Sitzrohr. Leider finden sich auf der Webseite von Vent keine Geometriedaten für das e-Gravel Frontier. Wer die Sattelstütze aufgrund seiner Körpergröße sehr weit herausziehen muss, sitzt gefühlt jedoch fast über der Hinterradachse. Ok, ist vielleicht etwas übertrieben. Aber angesichts des ziemlich geringen Sitzwinkels bleibt offen, wie gut sich die Sitzposition in der Praxis anfühlen und wie effizient die Kraftübertragung beim Pedalieren sein kann.
Aktive Federung vorn und hinten
Vom technischen Standpunkt gesehen, verdient dieses E-Gravelbike auf alle Fälle einiges an Aufmerksamkeit. Das liegt zum einen an dem Umstand, dass wir über ein vollgefedertes Exemplar dieses Fahrradtyps reden. Im Oberrohr integriert findet sich eine Eigenentwicklung von Vent. Die als TST-System bezeichnete Dämpferkonstruktion ist sogar per Patent geschützt. Der daraus resultierende Federweg wird schätzungsweise die identischen 40 Millimeter betragen, die auch die GVX-Federgabel von SR Suntour mitbringt. Am Bike sind also aktive Federelemente für Vorder- und Hinterrad verbaut, im Gegensatz zum Einsatz von lediglich dämpfenden Rahmenteilen, wie dem XCell des Schweizer Herstellers BMC.
Beim Hinterbau handelt es sich um einen abgestützten Eingelenker. Charakteristisch für diesen sind seine abgesenkten Drehpunkte. Zusammen mit der Federgabel ergibt sich so ein passables Paket für Graveltouren, auf denen es gern auch ruppiger zugehen darf.
Sportlicher Antrieb von FSA
Neben den Elementen für den Fahrkomfort sticht das Antriebssystem des e-Gravel Frontier hervor. Zwar hat FSA bereits 2020 das HM 1.0 vorgestellt. Bisher sind aber nicht all zu viele E-Bikes mit diesem Hinterradnabenmotor erschienen. Daher genießt diese Kombination aus Motor, Akku und Bedieneinheit immer noch einen gewissen Exotenstatus. Aufgrund seiner technischen Kennzahlen wird das System gern einmal mit dem X35+ von Mahle verglichen.
Tatsächlich ähneln sich beide Antriebe recht stark. Von einer Dauernennleistung von 250 Watt kommend, bietet der FSA HM 1.0 ein Drehmoment von 42 Newtonmetern. Über eine Bedieneinheit, die im Falle des e-Gravel Frontier im Oberrohr verbaut ist, lassen sich fünf Unterstützungsstufen anwählen. Der Akku wird im Unterrohr integriert und nur zu Wartungszwecken entnommen. Seine Kapazität von 250 Wattstunden könnt ihr mit einem zweiten Akku auf insgesamt 500 Wattstunden verdoppeln. Das kostet euch jedoch eine Aufnahme für Trinkflaschen, weil der Range Extender ebenfalls in Form einer Wasserflasche am Rahmen befestigt wird.
Die Kollaboration von FSA mit Vent geht sogar über den E-Anrieb hinaus. Sowohl die Lenker-Vorbau-Einheit samt intern verlegter Kabel als auch die Flowtron-Teleskopsattelstütze stammen ebenfalls vom asiatischen Hersteller.
Konzept konsequent umgesetzt
Für Schaltung und Bremsen zeichnen dagegen die US-Amerikaner von Sram verantwortlich. Verbaut ist eine Rival-Gruppe. Allerdings keine gewöhnliche, sondern die speziell auf Gravel ausgelegte XPLR-Variante. Die Unterschiede zwischen beiden sind nicht wahnsinnig groß. Sie zeigen sich vor allem in den größeren Röllchen in den Schaltwerken sowie der 12er Kassette. Deren Abstufung weicht mit den elf bis 44 Zähnen um einiges vom Original ab. Das Spektrum ist etwas breiter angelegt, wobei die Gangsprünge in einschlägigen Tests als recht harmonisch eingeschätzt wurden. Bei der Größe des Kettenblattes hat sich Vent für eines mit 40 Zähnen entschieden.
Racer statt Bikepacker
Unter dem Strich ist das Projekt des in der Lombardei angesiedelten Unternehmens ein recht mutiges. Wo trifft man heutzutage schon auf ein vollgefedertes E-Gravelbike? Mit dem e-Gravel Frontier verfolgt Vent einen ausgesprochen sportlichen Ansatz. Ein Stück weit schimmert bei dem Bike durch, dass sich der Hersteller bisher mit Fully-E-MTBs beschäftigt hat. Darunter leidet allerdings das Bikepacking-Potenzial des Gravellers. So entfällt zum Beispiel das Oberrohr als Befestigungspunkt für Taschen im Grunde komplett. Selbst für Trinkflaschen gibt es an dem aus Carbon gefertigten Rahmen nur eine Aufnahme. Und die wollt ihr vielleicht lieber für den Zweitakku nutzen.
Wer dagegen ein Bike zum Austoben sucht, nimmt das womöglich gern in Kauf. Apropos Kauf. Vent hat angekündigt, dass das e-Gravel Frontier im Frühjahr 2022 auf den Markt kommt. Der Preis dafür wird voraussichtlich bei ungefähr 8.000 Euro liegen.
Bilder: Vent S.R.L.