Durch die Corona-Pandemie mitbestimmt erreichten vor zwei Jahren die Verkaufszahlen von E-Bikes in Deutschland ungeahnte Höhen. Inzwischen legt sich dieser Hype ein wenig. Grundsätzlich läuft das Geschäft aber noch gut. Ein Typ der E-Bikes bereitet der Fahrradindustrie dennoch Sorgen. S-Pedelecs fristen weiterhin ein Nischendasein und können so ihr Potenzial für die Verkehrswende nicht annähernd ausspielen. Dies möchte der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) dringend ändern. Helfen soll dabei ein Blick in unsere Nachbarländer.
In Belgien, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz erfreut sich das S-Pedelec einer deutlich größeren Beliebtheit als hierzulande. Es ist besser in bestehende Verkehrskonzepte integriert, darf in vielen Fälle auf dem Radweg mitrollen und wird deshalb von den Menschen stärker angenommen. In der Folge ersetzen Fahrten mit S-Pedelecs immer öfter Wege, die zuvor mit dem Auto zurückgelegt wurden. Zudem liegt der Anteil der verkauften S-Pedelecs am Gesamtmarkt der E-Bikes teilweise beim Zwanzigfachen dessen, was in Deutschland aktuell umgesetzt wird.
Basis für den Dialog gesucht
Dem ZIV ist klar, dass ein Ankurbeln des Verkaufs zwingend eine größere Akzeptanz der schnellen E-Bikes in der Bevölkerung erfordert. Aus seiner Sicht müssen sich dafür gesetzliche Bestimmungen ändern und Verkehrsinfrastrukturen verbessern. Dies braucht Gespräche mit Entscheidern. Und in den Gesprächen braucht es belegbare Fakten und überzeugende Argumente.
An Fakten mangelt es, weshalb der ZIV selbst eine Studie in Auftrag gegeben hat. Vom niederländischen Beratungsunternehmen Mobycon ließ er zusammentragen, welche gesetzlichen Bestimmungen das Fahren mit einem S-Pedelec in Belgien, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz regeln und welche Erfahrungen die dort lebenden Menschen damit machen. Die Studie widmete sich vier Leitfragen. Welche Antworten sie darauf liefert, fassen wir für euch zusammen.
1. Wie regeln die untersuchten Länder das Fahren mit S-Pedelecs im Straßenverkehr?
Laut der Untersuchung geht jedes der Länder seinen eigenen Weg, wenn es darum geht, emissionsfreie, nachhaltige Mobilität mit der Sicherheit alle am Straßenverkehr Teilnehmenden in Einklang zu bringen. Bekanntermaßen beordert Deutschland die S-Pedelecs auf die Straße – abgesehen von ein paar genehmigten Ausnahmen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. In Dänemark und der Schweiz dürfen sie sich hingegen die Fahrradinfrastruktur mit Pedelecs und herkömmlichen Fahrrädern teilen. In Belgien haben sie innerhalb von Ortschaften auf Straßen mit einer Höchstgeschwindigkeit von maximal 50 km/h die Wahl zwischen der Straße und dem Fahrradweg. Nach dem Verlassen der Ortschaft gilt das Fahren auf dem Radweg als Pflicht.
Etwas anders sieht die Situation in den Niederladen aus. Dort trifft man innerorts und außerorts oft auf spezielle Fahrradwege, die S-Pedelecs gemeinsam mit Mopeds nutzen dürfen. Innerorts bedeutet dies eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h für S-Pedelecs, außerorts sind es 40 km/h. Gibt es lediglich einen „normalen“ Fahrradweg, ist dieser ausschließlich für Pedelecs und Fahrräder ohne E-Antrieb reserviert. Alle S-Pedelec-Fahrenden weichen dann auf die Straße aus.
2. Gibt es ein auffälliges Unfallgeschehen?
Mitunter haftet den schnelleren Pedelecs ja ein negatives Image an. Ihre höhere Geschwindigkeit würde auf dem Fahrradweg das Risiko für Unfälle anstiegen lassen. Auf der Straße seien sie dagegen nicht schnell genug und deshalb ein Ärgernis. „Wir sehen bislang viel Halbwissen und Vorurteile, was die Nutzung von S-Pedelecs und potenzielle Gefahren mit Blick auf die Nutzenden selbst sowie andere Verkehrsteilnehmende, darunter vor allem Radfahrende und Zufußgehende, angeht“, meint Anke Schäffner, Leiterin Politik und Interessenvertretung beim ZIV. Aus der Studie ließen sich wichtige Erkenntnisse für eine objektivere Bewertung ableiten.
In keinem der Länder weisen die vorliegenden Daten ein erhöhtes Unfallrisiko von S-Pedelecs im Vergleich zu konventionellen Fahrrädern aus. Weder zwischen S-Pedelecs und anderen Fahrrädern noch zwischen S-Pedelecs und Menschen zu Fuß käme es besonders häufig zu Unfällen. Insofern finden sich keine Belege für die zuvor genannten Vorurteile. Gleichzeitig hält auch diese Untersuchung fest, dass ein Unterschied beim Blick auf die Unfallfolgen nachweisbar sei. Aus den oftmals höheren Fahrgeschwindigkeiten resultieren schwerwiegendere Verletzungen bei den am Unfall Beteiligten.
3. Wo fahren S-Pedelecs am sichersten?
Beim Thema Sicherheit kommt die Studie zu dem Schluss, dass sich das Empfinden auf einem S-Pedelec dem auf einem herkömmlichen Fahrrad ähnelt. Scheint einleuchtend, da beide ohne Knautschzone auskommen müssen und jeder Zusammenprall direkt an Leib und Gefährt spürbar ist. Sobald der umgebende Verkehr im Vergleich zur eigenen Fahrgeschwindigkeit als sehr viel schneller wahrgenommen wird, fühlen sich Radfahrende mit einem S-Pedelec am besten auf dem Radweg aufgehoben. Das deckt sich mit dem, was frühere Studien zum konventionellen Radverkehr ermittelt haben.
In Belgien ist die freie Wahl für S-Pedelecs zwischen Straße und Fahrradweg innerorts im Verkehrsrecht verankert. Andere Länder experimentieren mit diesem Konzept, um je nach Ergebnis eventuell Ähnliches zu etablieren. Entsprechende Initiativen in den Niederlanden zeigen, dass sich S-Pedelec-Fahrende bei freier Wahl häufig für den Radweg entscheiden. Auf dem erreiche das subjektive Sicherheitsempfinden meist die höchsten Werte. Wie sich das objektiv verhält, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Derzeit erkennt die Studie in keinem der untersuchten Länder ein gesicherte Datenbasis, die eine generelle Empfehlung für ein bestimmtes Konzept rechtfertigen würde.
4. Was kann Deutschland für die Regulierung von S-Pedelecs von anderen Ländern lernen?
Aus dem Vergleich geht recht deutlich hervor, dass Verkehrsregelungen im Sinne der Fahrradfahrenden im Zusammenspiel mit gut ausgebauter Fahrradinfrastruktur die Nutzung von S-Pedelecs nachhaltig fördern können. Als Paradebeispiel wird gern auf die Schweiz verwiesen – zurecht.
Zudem entkräftet die Studie ein paar traditioneller Vorurteile. S-Pedelec-Fahrende sind keineswegs rücksichtslose Verkehrsteilnehmende, die alle Langsameren vehement beiseitedrängen. Trotz des möglichen Maximums von 45 km/h läge die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit in den Niederlanden und Belgien zwischen 29 km/h und 37 km/h, so die Verfasser. Wer mit dieser Art von E-Bike unterwegs sei, verursache nicht mehr Unfälle als andere Fahrradfahrende und passe seine Geschwindigkeit der jeweiligen Fahrsituation an.
Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass S-Pedelec-Fahrende vorhandene Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht immer eingehalten würden. Das wiederum überrascht vermutlich am wenigsten. Schließlich fahren auch S-Pedelecs noch immer nicht eigenständig, sondern brauchen jemanden wie dich und mich im Sattel. Und wer von uns fährt schon jederzeit regelkonform?
Bilder: Zweirad-Industrie-Verband (ZIV)
Liebe „Mitstreiter“,
mit großem Interesse habe ich Ihre Studie zum Thema S-Pedelecs gelesen. Meine Frau und ich fahren seit über 11 Stromer und insgesamt ca. 120.000 km in und um Tübingen und sind sehr froh darüber, das wir hier mit Boris Palmer einen OB haben, der sich seit Jahren nicht nur für eine gute Fahrradinfrastruktur sondern besonders auch für die S-Pedelecs einsetzt. Nur so konnte (mein Kollege) Daniel Hammer die in Ihrer Studie gezeigten positiven Beispiele in Tübingen umsetzen.
Wir können eigentlich alles bestätigen, was Sie über den restriktiven Umgang mit S-Pedelecs in Deutschland geschrieben haben und wie angenehm das Fahren in der Schweiz ist, wo wir schon häufig unterwegs waren.
Eine Frage hätte ich noch zu Ihrer Studie:
Wurde schon einmal untersucht, wie viele getunte Pedelecs unterwegs sind. Es gibt ja nicht nur S-Pedelecs die ohne Nummernschild unterwegs sind, um die (teils schwachsinnigen) Restriktionen zu umgehen, sonder auch – nach unseren Beobachtungen – viele „Normal“-Pedelecs, die verbotener weise getunt sind. Diese sorgen m.E. bei der i.d.R. uninformierten Bevölkerung für den Eindruck, dass auf den Radwegen zu viele Raser unterwegs sind. Ich kann die Käufer (meist Männer) von toll gestylten Pedelecs ja irgendwie verstehen: Da kauft man sich ein stylisches Rad und wird bei Tempo 25-27 ausgebremst.
Hier ist zum Einen der Abbau der Restriktionen in Deutschland dringend notwendig. Zum Anderen sollte ein Hersteller wie Bosch, der den deutschen Markt dominiert endlich einen S-Pedelec-tauglichen Nabenmotor entwickeln, da die Kundschaft sehr auf bekannte Namen achtet und es bei den Nabenmotoren nur wenige Hersteller gibt und es in früheren Jahren auch Probleme bei den wenigen Herstellern (Bionix, Swiss drive) gab. Da stelle ich mir die ketzerische Frage: Kann es sein, dass Bosch kein Interesse an S-Pedelec-Antrieben hat (wegen seiner nähe zur Autoindustrie) ? Der Performance Line Speed inst m.E. nicht wirklich S-Pedelec-tauglich, da einerseits als Mittelmotor einen hohen Verschleiß beim Antriebsstrang verursacht und andererseits bei höheren Geschwindigkeiten (ab 35 km/h) schlapp macht. Außerdem können Nabenmotoren rekuperieren, was Mittelmotoren leider nicht können.
Über eine Antwort und ihre Meinung zu dem einen oder anderen Punkt würde ich mich sehr freuen und diese in die Arbeit der Arbeitskreises Mobilität in Tübingen einbringen.
Mit Fahrradfreundlichen Grüßen,
Hermann Jacobi
Hallo Herr Jacobi,
Urheber der Studie ist der Zweirad-Industrie-Verband ZIV. Daher wenden Sie sich mit ihren Themen am besten an ihn.
Sportliche Grüße, Matthias