Wie gefährlich ist das Fahren mit einem Pedelec? Darüber lässt sich herzlich streiten, je nach Ansichten und Hintergrund der Menschen, die sich an einer solchen Diskussion beteiligen. Man kann aber auch wissenschaftliche Untersuchungen zu Rate ziehen. Eine neue hat in diesem Sommer die Unfallforschung der Versicherer (UDV) vorgelegt, die zum Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. gehört.
Unter dem Titel „Unfallrisiko von Pedelec-Fahrer:innen“ knüpft die UDV an ihre Pedelec-Unfallanalyse aus dem Jahr 2015 an. Die kürzlich veröffentlichte Analyse gibt beispielsweise Antworten darauf, ob sich das Unfallgeschehen seit der letzten Studie verändert hat. In besonderem Maße beschäftigt sie sich jedoch mit dem Unfallrisiko für Pedelec-Fahrende und Fahrradfahrende auf Deutschlands Straßen.
Steigendes Risiko mit jedem Kilometer?
Bei der Auswertung der Daten berücksichtigt die UDV erstmals, in welchem Verhältnis die gefahrenen Kilometer und die Unfälle zueinanderstehen. Die in der Studie in dem Zusammenhang verwandten entsprechenden Fachbegriffe lauten Fahrleistung beziehungsweise fahrleistungsbezogenes Unfallrisiko. Damit lassen sich neben absoluten Zahlen eben auch Parameter wie diese Exposition beurteilen.
Als Datengrundlage dienten der UDV die Daten der Forschungsdatenzentren der Statistischen Ämter aller Bundesländer sowie die der repräsentativen Haushaltsbefragung „Mobilität in Deutschland 2017“. Auf letztgenannte geht auch der Wert der Jahresfahrleistung zurück. Für deren Ermittlung wurden, vereinfacht gesagt, die an einem Stichtag erfassten gefahrenen Fahrradkilometer mit 365 multipliziert und ergaben so die Summe für ein gesamtes Jahr. Folglich steckt da eine gewisse Verzerrung drin. Zum einen saisonaler Natur und zum anderen bezogen auf das jeweilige Jahr.
Große Mehrheit ohne Motor unterwegs
Nichtsdestotrotz ergibt sich ein Bild, das der Realität sehr nahekommen dürfte. Es zeigt, wie viel mehr an Kilometern die Menschen in Deutschland immer noch mit einem herkömmlichen Fahrrad zurücklegen. Und zwar sprechen wir hier über ungefähr die neunfache Distanz. Das geht natürlich auch auf die unterschiedlichen Anzahlen an Fahrrädern beziehungsweise Pedelecs zurück, die derzeit in Benutzung sind. Besonders deutlich sind die Unterschiede in den Gruppen der 18- bis 24- Jährigen und der 25- bis 34-Jährigen. Am nächsten kommen sich beide Fahrradarten bei den 65- bis 74-Jährigen. Beim Einzelblick auf die Pedelecs fällt auf, dass Menschen im Alter von 55 Jahren und aufwärts für 69 Prozent der gefahrenen Jahreskilometer verantwortlich sind.
Pedelec-Fahrende legen im Straßenverkehr also wesentlich weniger Kilometer zurück. Folglich sollten sie auch einem geringeren Unfallrisiko unterliegen. Das dem nicht so ist, veranschaulicht die Studie der UDV leider eindrucksvoll. Zur Beurteilung des Risikos haben die Verfasserinnen des Berichtes den Anteil einer Gruppe am Gesamtunfallgeschehen aller Altersgruppen ins Verhältnis zu dem Anteil der Gruppe an der Gesamtfahrleistung aller Altersgruppen gesetzt. Lautete dieser Quotient eins, entsprach das Unfallsrisiko der Gruppe ihrer Fahrleistung. Alles unter eins symbolisiert ein niedrigeres Risiko, alles darüber ein erhöhtes.
Unfallrisiko: An einem Unfall beteiligt
Schon bei der Statistik zur Beteiligung an einem Unfall weisen vier Altersgruppen für Pedelec-Fahrerende ein erhöhtes Risiko auf. Wer 34 Jahre oder jünger ist beziehungsweise 75 Jahre und älter, ist überdurchschnittlich häufig mit dem Pedelec in einen Unfall involviert. Am meisten gefährdet sind die Gruppen der Jüngsten und der Ältesten. Dem gegenüber steht die große Gruppe der Menschen zwischen 35 Jahren und 74 Jahren, deren Risiko für eine Beteilung sogar unterhalb des erwartbaren Wertes liegt. Das gilt erfreulicherweise für Pedelec-Fahrende und Fahrradfahrende gleichermaßen.
Unfallrisiko: Einen Unfall verursacht
Die Formulierung „Beteiligt“ lässt offen, welche Rolle diejenigen genau bei einem solchen Ereignis spielen. Anders liegt der Fall bei den „Verursachern“. Auf die Risikoverteilung hat das bei den Pedelec-Fahrenden keine deutlichen Auswirkungen im Vergleich zur Beteiligung an einem Unfall. Im Gegenteil, im Grunde ist die Verteilung identisch. Erneut fährt die Gruppe der Menschen zwischen 35 Jahren und 74 Jahren anscheinend am rücksichtsvollsten und sieht sich nur einem geringeren Risiko gegenüber, einen Unfall zu verursachen. Für all diejenigen, die jünger oder älter sind, steigt der Quotient dagegen erkennbar an. Im Falle der 18- bis 24-Jährigen sogar abermals auf mehr als das Dreifache des erwartbaren Wertes. Auch der Abstand zu den gleichaltrigen Fahrradfahrenden ist beachtlich.
Als mögliche Gründe hält die Studie es für denkbar, dass sich die Menschen in dem Alter überschätzen und vielleicht auch risikobereiter fahren. Zudem könnte es sein, dass sie das Leistungsvermögen der elektrischen Unterstützung voll auskosten, was automatisch zu höheren Geschwindigkeiten führen könnte, mit denen sich diese Menschen dann in Gefahrensituationen begeben.
Übrigens liegt der Risikowert in lediglich zwei Altersgruppen für Fahrradfahrende über dem der Pedelec-Fahrenden.
Unfallrisiko: Schwer verunglückt
Unabhängig von der Schuldfrage hat die UDV auch die Konsequenzen der Unfälle mit Pedelecs und Fahrrädern ohne Motorunterstützung untersucht. Bei den Pedelec-Fahrenden fallen die Ergebnisse erneut für die Altersgruppen auffällig aus, die bereits bei den beiden zuvor beschriebenen Kategorien unter negativen Vorzeichen im Fokus standen. Diesmal jedoch mit veränderten Verteilungen. Obwohl die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen das höchste Risiko aufweist an einem Unfall beteiligt zu sein oder einen zu verursachen, sinkt ihr Risiko um etwa 40 Prozent im Vergleich zu den Zahlen, bei einem Unfall schwer verletzt oder gar getötet zu werden. Es liegt dennoch weit über dem der gleichaltrigen Fahrradfahrenden.
Der höchste Wert bei den Pedelec-Fahrenden für das Risiko schwer zu verunglücken, findet sich bei den Menschen im Alter von 80 Jahren und darüber. Es übertrifft den erwartbaren Wert um mehr als das Dreifache. Die Verfasserinnen der Studie vermuten, dass die Ursache dafür in der höheren Verletzlichkeit älterer Menschen zu suchen ist. Diese erhöhte Vulnerabilität lasse es wahrscheinlicher werden, dass sich diese Gruppe im Falle eines Sturzes oder Zusammenstoßes schwerer verletzt als jüngere Menschen.
Risiko geringer, Folgen schwerwiegender
Unterstützt wird diese These durch den Umstand, dass auch unter den Fahrradfahrenden die Gruppe mit dem höchsten Lebensalter am meisten gefährdet ist. Dort liegt das Risiko sogar noch etwas höher. Mit Blick über alle Altersgruppen hinweg fällt auf, dass die Fahrradfahrenden einem größeren Risiko ausgesetzt sind, bei einem Unfall schwere Verletzungen zu erleiden oder zu sterben, als die Pedelec-Fahrenden. Bei sechs von acht Altersgruppen ist dies so. Hier scheint der Faktor „E-Bike“ einen geringeren Einfluss zu haben.
Aus weiteren Zahlen der Studie geht jedoch hervor, dass von den verunglückten Pedelec-Fahrenden knapp 26 Prozent schwer verletzt oder getötet wurden. Rund 18 Prozent sind es unter den Fahrradfahrenden. Wenn auch das Risiko ähnlich verteilt ist, so gilt dies nicht für die Auswirkungen eines Unfalls.
Unfallrisiko soll sinken
Einige Ergebnisse des Berichtes der UDV wirken mindestens ernüchternd. Sie veranschaulichen ein weiteres Mal, dass der Sicherheit von Fahrradfahrenden im Straßenverkehr nie genug Aufmerksamkeit geschenkt werden kann. Die Versicherer unterbreiten konkrete Vorschläge, was auf diesem Weg getan werden könnte:
- an Fahrtrainings für Pedelec-Fahrende und Fahrradfahrende teilnehmen, um das eigene Fahrvermögen zu erhalten oder zu steigern
- Fahrradhelm tragen
- bei Auswahl und Kauf eines Pedelecs beraten und aufklären
- Unterstützung des E-Bike-Motors situativ stärker an körperliche Leistungsfähigkeit der Fahrenden knüpfen
Bilder: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. / Unfallforschung der Versicherer; Bosch eBike Systems
Der Artikel ist insofern traurig, weil er auf einer Pedelec Nachrichtenseite vollkommen unkommentiert veröffentlicht wurde.
Warum sollte man solche einen Artikel nicht unkommentiert veröffentlichen?
1) Die UDV ist eine Lobbyvereinigung der Versichherungswirtschaft und damit nicht neutral.
2) Die Ursachen-Vermutungen der UDV sind haarsträubend und zeugen von Realitätsferne.
Natürlich verunfallen sehr alte Menschen aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen schneller und schwerer. Das ist in jedem Lebensbereich so und warum sollte es beim Pedelec ander sein. Hier wäre allerding die Darstellung absoluter Zahlen sinnvoller, als eine pseudo Nivelierung durch Prozentangaben.
Das erhöhte Unfallrisiko unter 25 Jahren liegt auch klar auf der Hand. Diese Gruppe benutzt das Pedelec als Hauptverkehrsmittel, weil sie entweder noch keinen Führerschein besitzt oder kein Geld für die Anschaffung eines Autos. Ab 25 Jahren sinken die in der Rushhour gefahreren Kilometer und deshalb auch die Unfallzahlen.
Die schwer Verletzten und getöteten Pedelec Fahrer in einer Gruppe zu nennen erzeugt einen ungewissen Eindruck von extrem hohen Todeszahlen. Ist das seriös?
An dieser Darstellung ist die Ausklammerung der Unfallursachen und der Einfluss der schlechten Verkehrsinfrastuktur für Radfahrer sowie des viel zu schnellen KfZ Straßenverkehrs grundlegend falsch.
Es ist beispielsweise erst 2021 bekannt geworden, dass der Großteil aller Dooring Unfälle (unvermitteltes Öffnen von KfZ Türen) nicht als solche registriert wurden, weil diese Kategorie für die Unfallmeldungen der Polizei nicht vorgesehen war. Ebenso werden Unfälle aufgrund von Schlaglöchern und Querrillen auf Radwegen oft als Selbstverschulden registriert.
Die Studie verlagert die Verantwortung als Konsequenz aus der Unfallstatistik rein auf Seiten der Pedelec Fahrer. Das entspricht genau dem Narrativ der Auto zentrieten Denkmuster der letzten 70 Jahre. Bessere Infrastruktur und innerorts niedrigere KfZ Geschwindigkeiten hätte erwiesenermaßen mehr Einfluss auf die Verkehrssicherheit.
Hallo SK,
vielen Dank für dein Feedback. Genau darin liegt das Wesen eines Blogs wie des unseren. Wir können immer nur ein Thema anstoßen. Die Gemeinschaft macht dann in Form von Kommentaren etwas Eigenes daraus. Sie denkt das Thema weiter, ergänzt es und stellt bestimmte Punkte zur Diskussion. Das unterscheidet uns von journalistischen Medien. Etwas anderes könnten wir mit unseren deutlich bescheideneren Mitteln auch nicht leisten.
Daher vielen Dank noch einmal für deine Sicht auf die Dinge. Und ihr anderen seid wie immer herzlich eingeladen, den Faden aufzunehmen und weiterzuspinnen.
Sportliche Grüße, Matthias