In den USA gibt es Hinweise darauf, dass Branchenriese Shimano aktuell ein neues E-Bike-System entwickeln könnte. Wie die Redaktion von Outside auf ihrem Online-Magazin Velo berichtet, hat der Hersteller vor wenigen Tagen beim US-amerikanischen Patentamt USPTO mehrere Patente eingereicht. In einem davon taucht ein Mittelmotor auf, der kompakter als die derzeit verbauten Aggregate wirkt.
Das Patent trägt den Titel „Drive unit for human-powered vehicle and battery holding device of human-powered vehicle“. Nach Einschätzung von Velo wirkt der darin beschriebene Motor deutlich kleiner ist als die aktuellen EP8, EP801 und EP600. In dem Papier wird ganz allgemein davon gesprochen, dass sich der Antrieb für den Einsatz an unterschiedlichen E-Bike-Typen eignen soll. Einige Indizien weisen allerdings auf eine Lösung hin, die in erster Linie für E-Rennräder und E-Gravelbikes angedacht sein könnte.
These mit drei Argumenten
Als erster Hinweis für diese Vermutung dient die erste im Patent aufgeführte Abbildung. Auf der ist ein Fahrrad mit Rennlenker dargestellt. Zu viel sollte man darauf aber nicht wetten. Schließlich sind an dem E-Bike neben einer Federgabel auch Felgenbremsen verbaut. Die würde kaum ein E-Bike-Hersteller heutzutage noch ernsthaft für ein solches Fahrrad in Erwägung ziehen.
Den zweiten Hinweis liefert Shimano mehr oder weniger selbst. Wer sich das Sortiment der Japaner mal genauer ansieht, entdeckt gewissen Lücken. So ist etwa die Fraktion der Full-Power-Aggregate mit den EP8, EP801 und EP600 gut besetzt. Dann folgen mit den Antrieben E6100 und E5000 zwei Systeme, die auf den Markt der urbanen E-Bikes und Trekkingbikes abzielen. Es fällt jedoch nichts sofort ins Auge, das an einem E-Mountainbike oder einem urbanen E-Bike vorstellbar wäre, bei dem der Motor sowohl optisch als auch hinsichtlich seines Leistungsvermögens stärker in den Hintergrund treten soll.
Für den dritten Hinweis braucht man sich lediglich kurz den aktuellen Markt vor Augen führen. Bosch mit dem Performance Line SX, Giant mit dem SyncDrive Pro 2, TQ mit dem HPR50, Fazua mit dem Ride 60, Maxon mit dem Bikedrive Air und so weiter – die Mitbewerber sind in exakt diesem Segment längst durchgestartet. Sie alle haben die Leistung der Motoren etwas gedrosselt, dafür kleinere Aggregate gewonnen und kombinieren sie mit ebenso kompakten Akkulösungen. Das Ergebnis sind sportlich anmutende E-Bikes, an denen Designer plötzlich ganz neue Möglichkeiten für die Integration der Antriebe haben. Weitere Kandidaten wie zum Beispiel Mavic mit dem X-Tend stehen längst in den Startlöchern, um hier mitzumischen.
Aktuell Shimano mit Nachholbedarf
Und die passende Spielwiese breitet sich mit E-Rennrädern und E-Gravelbikes vor ihnen aus. Dieses Segment vermeldete in den vergangenen zwei, drei Jahren beachtliche Steigerungsraten im Verkauf. Sollte sich das so fortsetzen, bedeutet das in absehbarer Zeit auch bei den Stückzahlen einen erheblichen Anteil. Von dem möchte Shimano sicher einen Teil abhaben.
Für den Moment ist dem Hersteller die Konkurrenz jedoch ein Stück weit enteilt. Das möchte er sicher nicht dauerhaft so stehen lassen. Die Realität verkörpern allerdings Modelle wie das Giant Revolt E+ Pro. Der in dem Gravelbike verbaute EP8 bietet mehr als genügend Power. Motor und Akku sind jedoch eher auf andere Anwendungen ausgelegt. Hier führen sie dazu, dass das Giant deutlich schwerer ausfällt und wesentlich klobiger wirkt als etwa ein Scott Solace eRide, ein KTM Macina Gravelator SX oder ein Megamo Kansas. Und beim Kauf eines Fahrrades hat der optische Eindruck traditionell einen immens hohen Einfluss.
Abmessungen nicht der einzige Trumpf?
Vielleicht vermag ein neuer Antrieb von Shimano an dieser Situation etwas zu ändern. Abgesehen von den geringeren Abmessungen lässt sich daraus noch nicht so viel ableiten. Irgendwelche anvisierten Leistungsdaten werden nicht genannt. Spannend ist allerdings, wie Shimano die Anordnung von Motor und Akku konzipiert. Erwähnt wird eine Halterung am Motor, die den Akku aufnimmt.
Sie soll in verschiedenen Positionen angebracht werden können. Auf den Bildern könnt ihr erkennen, dass der Akku unterhalb des Motors durchgeschoben werden kann. Teilweise ragt sogar ein Drittel des Akkus unter dem Motor hervor. Auf diese Weise könnte sich der Schwerpunkt am E-Bike wohl deutlich absenken. Ein Kniff, der sich vor allem bei E-Mountainbikes als sehr wertvoll erweisen würde.
Was die Leistungsfähigkeit eines neuen E-Antriebs betrifft, spekuliert Velo auf ein Drehmoment zwischen 40 Newtonmetern und 50 Newtonmetern, während der Motor leichter als zwei Kilogramm sein müsste, um ernsthafte Aussichten auf künftige Marktanteile zu haben. In diesen Größenordnungen bewegen sich beispielsweise der TQ HPR50 sowie der Fazua Ride 60. Sicher keine schlechten Orientierungshilfen.
Bilder: Shimano Inc.; Giant Deutschland GmbH; KTM Fahrrad GmbH; Scott Sports SA; TNT Cycles S.L.