Bei der Masse an Neuheiten, die Bosch gerade auf der Eurobike präsentiert hat, stellen manche sich die Frage: Womit wartet eigentlich Shimano auf? Die Antwort lautet: Mit mindestens genauso viel. Der Branchenriese aus Japan hebt das Schalten an einem E-Bike mit Kettenschaltung auf ein neues Niveau. Bei zahlreichen Komponenten und Bauteilen, die beim Schaltvorgang involviert sind, gibt es Neuerungen zu vermelden.
Mit ihrem höheren Gewicht und der teilweise deutlich geringeren Spreizung ist die Nabenschaltung gegenüber der Kettenschaltung mitunter im Nachteil. Das gilt jedoch nicht für das Wechseln der Gänge. Im Leerlauf? Kein Problem. Automatisch mit der vorherigen Auswahl einer gewünschten Trittfrequenz? Am E-Bike ebenfalls seit längerem machbar. In genau diesen Punkten hat Shimano angesetzt und diese Art des Fahrkomforts auch auf die Kettenschaltung übertragen.
1. Shimano Free Shift
2. Shimano Auto Shift
3. Schaltwerke: Shimano Deore XT Di2 und Shimano Cues Di2
4. Kassetten: Shimano Deore XT und Shimano Cues
5. Motoren: Shimano EP801 und Shimano EP6
6. Displays und Computer: Shimano EN600 und Shimano EN610
7. Bedieneinheiten: Shimano EN600-L und Shimano SW310
8. ABS: Shimano kooperiert mit Blubrake
9. Shimano – Ausgewählte Neuheiten im Video
1. Shimano Free Shift
Mit der Free Shift-Funktion könnt ihr künftig auch bei der Kettenschaltung die Übersetzung wechseln, ohne in die Pedale zu treten. Zumindest solange das Fahrrad rollt. Dazu werden Kurbelarm und Kettenblatt kurzzeitig entkoppelt. Der Motor treibt dann nur noch das Kettenblatt an und löst dank der elektrischen Unterstützung einen Schaltvorgang aus. Kette und Kassette bleiben währenddessen ständig in Bewegung. Je nachdem, was ihr an der Schalteinheit ausgewählt habt, wechseln Kettenblatt und Kassette zu dem jeweiligen Gang. Theoretisch würde das sogar im Stand funktionieren. Allerdings mit der Konsequenz, dass der Motor das Fahrrad nach vorn bewegt, um den Schaltvorgang auszuführen. Dass dies ganz schnell richtig gefährlich werden kann, leuchtet sicher allen ein. Deshalb ist das durch die Programmierung ausgeschlossen.
Vom Free Shift gibt es zwei Spielarten. In der automatischen Version entscheidet das System aufgrund der vom Geschwindigkeitssensor empfangenen Daten und eurer Einstellungen in Shimanos E-Tube Project App. Wer möchte, kann in der App aber auch die manuelle Version wählen und alles selbstständig steuern. Durch eigenständiges Betätigen der Schalteinheit könnt ihr die Entscheidung im Automatic Free Shift natürlich jederzeit überstimmen.
2. Shimano Auto Shift
Wenn ihr das Gefühl habt, dass vom Free Shift bis zur kompletten Automatikschaltung nur ein vergleichsweise kleiner Schritt fehlt, liegt ihr genau richtig. Shimano hat diesen vollzogen und Auto Shift entwickelt. Mithilfe entsprechender Sensoren misst das System die jeweils aktuelle Trittfrequenz, das Drehmoment und die Geschwindigkeit. Sinkt die Trittfrequenz und ihr werdet gleichzeitig langsamer das Drehmoment steigt, registriert dies Auto Shift und schaltet in einen leichteren Gang. Eine typische Situation dafür ist das Fahren in den Beginn eines Anstieges oder das Biegen um eine enge Kehre.
Analog dazu schaltet das System in einen schwereren Gang, wenn sich Trittfrequenz und Geschwindigkeit erhöhen, weil ihr zum Beispiel den Gipfel erreicht habt und auf eine Ebene rollt oder euch sogar in eine Abfahrt begebt. Das Drehmoment sinkt und Auto Shift weiß, dass ihr jetzt einen dickeren Gang treten könnt. Erneut könnt ihr eure Vorlieben in der E-Tube Project App festlegen. Es lassen sich mehrere Profile auswählen. Fahrt ihr das E-Bike etwa abwechselnd mit jemand anderem, kann jeder seine individuelle Einstellung nutzen.
Unterschiedliche Fahrradtypen verlangen unterschiedliche Charakteristik
Shimano stellt den Fahrradherstellern Auto Shift in zwei Abstufungen zur Verfügung. Eine richtet sich stärker auf das Fahren in der Stadt und auf Touren. Die andere betont eine sportliche, aggressivere Fahrweise und wird vorwiegend an E-Mountainbikes zu finden sein. In beiden Fällen überstimmt ihr durch einen manuellen Schaltvorgang das, was der Algorithmus ausgewählt hatte. Wenn ihr wollt, lernt Auto Shift sogar aus diesen Situationen und passt seine Logik euren Vorlieben an. Die passende Einstellung dafür trefft ihr in der App.
3. Schaltwerke: Shimano Deore XT Di2 und Shimano Cues Di2
Diese neue Art des Schaltens funktioniert nur mit Schaltwerken, die über die notwendige Technologie verfügen. Folglich war Shimano gezwungen, hier zu agieren und neue Komponenten zu entwickeln. Mit dem Deore XT Di2 und dem Cues Di2 erweitern zwei Schaltwerke das zuvor schon sehr umfangreiche Sortiment. Beide sind nicht nur Free Shift-kompatibel, sondern entsprechen zusätzlich dem im vergangenen Jahr eingeführten Linkglide-Standard. Dessen robustes Wesen hatte zuvor bereits das Schalten vereinfacht und wirkt vor allem dem dabei entstehenden Verschleiß entgegen. Sowohl Free Shift als auch Auto Shift dürften diese Wirkung spürbar verstärken.
Das Deore XT Di2-Schaltwerk fällt etwas hochwertiger als das Cues Di2-Schaltwerke aus. Es eignet sich für Kassetten mit wahlweise zwölf oder elf Ritzeln. Bei der komplett neuen Schaltgruppe Cues sind es dagegen elf oder zehn Ritzel.
4. Kassetten: Shimano Deore XT und Shimano Cues
Die dazugehörigen Kassetten sind ebenfalls neu. Bei der XT-Variante stechen die verbesserten Steighilfen der Hyperglide-Technologie sowie der kleinere Freilaufkörper namens Micro Spline hervor. Er ermöglicht das Integrieren eines sehr kompakten, nur zehn Zähne zählenden Ritzels.
Kassette Shimano CS-M8100-12
Gewicht: 470 g
Abstufung: 10-12-14-16-18-21-24-28-33-39-45-51 Z
Etwas einfacher fallen die Kassetten mit elf und zehn Ritzeln aus. Sie kombinieren den Linkglide-Standard mit den neuen automatischen Schaltoptionen.
Kassette Shimano CS-LG700-11
Abstufung: 11-13-15-17-20-23-26-30-36-43-50 Z
Kassette Shimano CS-LG400-11
Abstufung: 11-13-15-17-20-23-26-30-36-43-50 Z
Kassette Shimano CS-LG400-10
Abstufung: 11-13-15-17-20-23-26-30-36-43 Z
5. Motoren: Shimano EP801 und Shimano EP6
Wie zuvor beschrieben, spielt der Motor bei der Umsetzung von Free Shift und Auto Shift eine zentrale Rolle. Er gibt den Impuls dafür, dass ein Schaltvorgang jetzt auch ohne Zutun der Kurbel möglich wird. Diese Fähigkeit brachten die bisherigen Motorengeneration nicht mit. Demzufolge braucht es Nachfolger.
Einer davon ist der EP801. Bei ihm handelt es sich um die Weiterentwicklung des EP8. Wirklich neu ist jedoch nur die Elektronik. Abmessungen, Gewicht, Leistung und Drehmoment decken sich mit denen des 2020 erschienen Aggregats.
Vertraute Hardware, neue Software
Mit Blick auf das Gehäuse ist Shimano dem bisherigen Design ebenfalls treu geblieben. Die Kombination aus Magnesium-Gehäuse und zahlreichen Kühlrippen unterstützen eine schnelle Wärmeabfuhr. In der Folge könnt ihr den Motor sehr lang auch zuverlässig an seine obere Leistungsgrenze bringen, ohne einen Ausfall zu riskieren.
Gleichzeitig lässt sich der Motor über die App weiterhin ausgesprochen flexibel anpassen. Insgesamt 15 verschiedenen Unterstützungsprofile hält Shimano dort bereit. Anhand einer solchen Bandbreite dürften Fahrerinnen und Fahrer mit unterschiedlichsten Fitnessniveaus, fahrerischem Können und für unterschiedlichste E-Bike-Typen das Setup ihrer Wahl finden. Ihr könnt dort beispielsweise auch festlegen, in welchem Bereich das Drehmoment in den verschiedenen Fahrmodi sich bewegen soll oder welcher Fahrmodus voreingestellt ist, wenn ihr das E-Bike anschaltet.
Shimano EP801 im Überblick
- Gewicht: 2,6 kg
- Nenndauerleistung: 250 W
- Maximales Drehmoment: 85 Nm
- Nennspannung: 36 V
Mehr Bandbreite, mehr Erfolg?
Vom selben Komfort profitiert ihr an einem Fahrrad, an dem der ganz neu entwickelte EP6 verbaut ist. Beinahe handelt es sich bei ihm um eine Kopie des EP801. Allerdings unterscheiden ihn zwei wesentliche Dinge von Shimanos Topmodell. Zum einen ist dies sein Gehäuse. Das ist aus Aluminium statt aus Magnesium gefertigt. Folglich bringt er 300 Gramm auf die Waage und wiegt nach Angaben des Herstellers genau drei Kilogramm. In Bezug auf die Produktionskosten soll dieser Unterschied wohl größere Auswirkungen haben. Shimano hofft, mit dem niedrigeren Preis bei mehr Fahrradherstellern als bisher zum Zuge zu kommen.
Außerdem erreicht der EP6 bei den Leistungsspitzen nicht ganz die Werte des EP8 beziehungsweise des EP801. Die Nenndauerleistung ist mit 250 Watt identisch. Aber in Situationen, in denen ihr fast wie einem Spurt richtig kräftig antretet und für wenige Momente mehr Power generieren wollt, zeigen sich sowohl der EP801 als auch der EP8 etwas dynamischer.
Shimano EP6 im Überblick
- Gewicht: 3,0 kg
- Nenndauerleistung: 250 W
- Maximales Drehmoment: 85 Nm
- Nennspannung: 36 V
Von beiden Motoren bietet Shimano künftig zusätzlich jeweils eine Variante für Lastenfahrräder an. Sowohl beim EP801 Cargo als auch beim EP6 Cargo sorgt eine speziell konfigurierte Firmware dafür, dass der Motor bereits bei sehr geringen Geschwindigkeiten seine Leistung entfaltet. Das soll unter anderem das Anfahren erleichtern, vor allem bei einem schwer beladenen Fahrrad.
6. Displays und Computer: Shimano EN600 und Shimano EN610
Mehr Optionen eröffnet Shimano den Fahrradherstellern, wenn es um die Komplettierung der Ausstattung geht. Das ist zum einen das neue Display EN600. Im Prinzip ist dies der neue kleine Bruder des bekannten EM800. Seine Anzeige ist ganz ähnlich gestaltet. Der Bildschirm wurde von 1,6 Zoll auf 1,4 Zoll verkleinert. Laut Hersteller sollen sich die Angaben dennoch ähnlich gut ablesen lassen. Wichtigster Unterschied ist die Kompatibilität des EN600 mit den neuen Automatik-Funktionen Free Shift und Auto Shift.
Wer ein größeres Display wünscht, bekommt dies mit dem neuen Fahrradcomputer EN610. Der stellt auf der Größe von 2,8 Zoll dar, was ihr während der Fahrt einsehen wollt. Auch er ist ein Ergebnis der Einführung von Free Shift und Auto Shift. Wie genau ihr die Daten auf dem Display angezeigt habe wollt, könnt ihr in der E-Tube Project App festlegen. Dort stehen mehrere Screen-Designs zur Auswahl. Zur Installation bietet sich zum einen die zentrale Position über dem Vorbau an. Alternativ könnt ihr das Display auch mittig noch vorn über den Lenker hinausragen lassen.
7. Bedieneinheiten: Shimano EN600-L und Shimano SW310
An vermutlich etliches E-Bikes wird der EN610 mit einer Bedieneinheit namens EN600-L kombiniert werden. Sie entspricht dem, was ihr in ähnlicher Weise bereits von anderen Herstellern kennt. Mit ihrer Hilfe lässt sich das E-Bike-System an- und ausschalten, das Display bedienen und das Licht aktivieren, genau wie die Schiebehilfe. Ant- und Bluetooth-Schnittstellen ermöglich das Verbinden mit mobilen Geräten und gängigen Fahrradcomputern, falls euch das zur Serienausstattung gehörende Gerät nicht zusagt.
Vorwiegend an E-Rennrädern oder auch dem ein oder anderen E-Mountainbike könnte euch demnächst eine neue im Oberrohr integrierte Bedieneinheit begegnen. Die SW310 ist ausgesprochen spartanisch gestaltet. Es gibt einen großen Taster zum An- und Ausschalten des Antriebs. Darüber signalisieren euch fünf im Halbkreis angeordnete LED die aktuelle Akku-Kapazität. Im unteren Teil der ovalen Bedieneinheit befindet sich ein zweiter, etwas kleinerer Taster. Dessen Funktion lässt sich in der E-Tube Project App individuell festlegen.
Wichtig: Alle Komponenten des Antriebes dieser Motorengeneration sind nicht abwärtskompatibel. Da sich auch das Batteriemanagementsystem grundlegend verändert hat, könnt ihr die neuen Displays oder Bedieneinheiten beispielsweise nicht mit denen an vorhandenen Fahrrädern tauschen, die aus einer anderen Generation stammen.
8. ABS: Shimano kooperiert mit Blubrake
Vollkommen losgelöst vom Thema des automatischen Schaltens ist Shimanos zweite, richtig bemerkenswerte Neuheit. Denn auch an E-Bikes mit diesen Antrieben kann künftig ein Antiblockiersystem (ABS) arbeiten. Für dieses Projekt hat sich der Hersteller tatkräftige Unterstützung von Blubrake geholt. Die Italiener haben vor einigen Jahren das erste ABS für E-Lastenräder auf den Markt gebracht und stecken entsprechend tief drin in der Materie. Nicht umsonst hebt Shimano besonders hervor, dass sich seine Neuvorstellung explizit auch für solche Fahrräder eignet.
Der Beschreibung nach klingt die Funktionsweise sehr ähnlich zu dem, was Bosch mit der Überarbeitung seines ABS getan hat. Ein an der Bremsscheibe angebrachter Geschwindigkeitssensor überwacht die Raddrehung. Sobald das Vorderrad stärker verzögert, als es die aktuelle Fahrgeschwindigkeit erwarten lässt, wird das ABS ausgelöst. Per Elektronik und hydraulischer Steuerung wird die Bremskraft so reguliert, dass das Vorderrad nicht blockiert und das Hinterrad nicht abhebt.
Vor- und Nachteile im Vergleich mit Bosch
Laut Shimano funktioniert dies sowohl auf nassem als auch auf trockenem Asphalt sowie auf Schotter. Beim sportlichen Fahren im Gelände hält sich der Hersteller mit seinen Aussagen spürbar zurück. Seine Lösung eigne sich explizit nicht „für steile Abfahrten oder aggressives Bergfahren“. Da lehnt sich Bosch deutlich weiter heraus. Dessen ABS Trail ist ja genau auf diese Anwendung ausgelegt. Da wir noch keines der beiden Systeme in einem solchen Terrain testen konnten, können wir uns noch kein eigenes Urteil erlauben, wer hier eventuell den besseren Job gemacht hat.
In Bezug auf die Integration scheinen beide Hersteller auf einem vergleichbaren Niveau. Shimanos Steuereinheit wirkt auf den Bildern nur unwesentlich größer als die von Bosch. Bei passenden Rahmen soll selbst eine komplette Integration möglich sein. Die Nase vorn hat Shimano, wenn es um das nachträgliche Ausstatten mit dem ABS geht. Das lässt sich nämlich hier bewerkstelligen. Für die zur externen Montage vorgesehene Version der Steuereinheit gibt es eine Flaschenhalterbefestigung. Unter Umständen kommt auch das Befestigen an Rahmen oder Gabeln in Frage. Die Laufräder der betreffenden E-Bikes dürfen zwischen 16 Zoll und 29 Zoll groß sein.
9. Shimano – Ausgewählte Neuheiten im Video
Bilder: Shimano
Wann liefert Shimano endlich /bzw. zum kaufen, die bereits in 2022 mit großem tamtam auf der Messe vorgestellte Deore XT Di2 und Cues Di2 mit freeshift und automaticshift speziell für e-bike und e -MTB?
Uwe Sandmann
Hallo Uwe,
vielleicht bist du inzwischen fündig geworden. Falls nicht – bei uns sind die Schaltwerke endlich im Shop eingetroffen.
https://www.elektrofahrrad24.de/shimano-deore-xt-di2-rd-m8150-11-schaltwerk
https://www.elektrofahrrad24.de/shimano-cues-di2-rd-u6070-11-fach-schaltwerk
https://www.elektrofahrrad24.de/shimano-cues-di2-rd-u6050-10-fach-schaltwerk
Nicht von der roten Bemerkung zur Lieferbarkeit abschrecken lassen. Wir können die Artikel auf Nachfrage dennoch recht kurzfristig besorgen.
Beste Grüße, Matthias
Hallo,
kommt auch eine Software-Update für den EP800?Das müsste doch möglich sein,warum fragt niemand danach.
Freundliche Grüße
Hallo Jürgen,
auf deinen Kommentar hin haben wir mal direkt bei Shimano nachgefragt. Dort hielt man sich aber eher bedeckt. Am besten sei es, regelmäßig auf den digitalen Kanälen von Shimano vorbeizuschauen bzw. in der E-Tube App nach verfügbaren Updates zu suchen. Sorry, mehr war dem Unternehmen nicht zu entlocken.
Sportliche Grüße
Matthias