Ein alter Bekannter ist zurück. Scott erweitert sein Portfolio an E-Bikes für die Saison 2023 und haucht dafür dem Namen Solace neues Leben ein. Was vormals unter der Rubrik Rennrad zu finden war, hat nun jedoch eine gespaltene Persönlichkeit. Oder zwei verschiedene. Wie ihr wollt.
Drehen wir das Rad der Zeit kurz zurück und schauen in das Jahr 2017. Damals pries Scott das Solace als ein Ausdauer-Rennrad an. Es war gedacht, um zum Beispiel Events wie das Transcontinental Race in Angriff zu nehmen. Danach ward es nicht mehr gesehen. Nun taucht es ziemlich unerwartet aus der Versenkung wieder auf. Den Ausdauergedanken trägt es immer noch in sich. Aber darauf gehen wir gleich genauer ein.
Zwei für den Geschwindigkeitsrausch
Zuvor widmen wir uns noch kurz der Frage, warum eigentlich jetzt das Scott Solace eRide erscheint, während mit dem Scott Addict RC eRide kürzlich ein ganz ähnliches Fahrrad umfassend überarbeitet wurde? Geht der Hersteller künftig mit zwei nahezu identischen E-Rennrädern an den Start? Nein, auf keinen Fall. Im Addict RC steckt mit dem Mahle X20 ja ein Hinterradnabenantrieb. Dessen geringes Gewicht senkt zusammen mit dem fest verbauten Akku das Gesamtgewicht des E-Bikes enorm. Dafür ist die Unterstützung durch das Drehmoment von lediglich 23 Newtonmetern stärker limitiert, auch wenn die Kraft direkt an der Hinterradachse angreift.
Im Gegensatz dazu wird das Solace eRide von einem Mittelmotor angetrieben. Scott hat sich hier für den HPR50 von TQ entschieden. Nach dem Lumen eRide erweitert also eine zweite Modellreihe mit diesem Antrieb das Sortiment. Aufgrund seines sportlichen Profils erscheint diese Wahl absolut plausibel. Das Gesamtgewicht von rund 3,8 Kilogramm für Motor und Akku fällt sehr niedrig aus. Gleichzeitig bedeutet das Drehmoment von 50 Newtonmetern ein passendes Maß an Unterstützung. Es ist genug, um einen wirklichen Effekt des Motors zu spüren. Und es nicht zu viel, was den Akku schont und von euch im Sattel noch genügend Eigenleistung erfordert.
Ein E-Antrieb für ausgewählte Momente
Eine mindestens genauso wichtige Rolle dürfte bei den Überlegungen die Tatsache gespielt haben, dass der Motor nahezu keinen Widerstand erzeugt, sobald ihr den neuralgischen Punkt von 25 Kilometer pro Stunde überschreitet. Wer relativ fit ist, wird mit einem Rennrad dies recht schnell schaffen. Umso wichtiger also, dass das Überschreiten dieses Schwellenwertes nicht euer Fahrvergnügen schmälert. Wenn es auf ebener Strecke richtig rollt oder ihr bergab fahrt, kommt das Solace eRide folglich einem herkömmlichen Fahrrad ohne elektrische Unterstützung sehr nahe. Und jede dort gesparte Wattstunde bedeutet zusätzliche Reichweite, von der ihr später auf anspruchsvolleren Passagen zehren könnt. Trotz der erst einmal eher geringeren Kapazität von 360 Wattstunden des im Unterrohr integrierten Akkus, eignet sich die Neuheit aus unserer Sicht so auch für längere Touren von 100 Kilometern und mehr. In diesem Punkt grenzt sich das Solace eRide deutlicher vom Addict RC eRide ab.
Vielseitiger Ansatz
Der Vergleich zwischen Addict RC eRide und Solace eRide bietet sich sowieso nur bedingt an. Das liegt daran, dass Scott das Solace als Plattform statt als Modell konzipiert hat. Sprich, abhängig von der jeweiligen Konfiguration lassen sich auf Basis des identischen Rahmens und E-Antriebes dennoch sehr unterschiedliche Fahrräder erstellen. Genau das hat der Hersteller auch getan. Zur Modellpalette gehören nämlich zwei E-Rennrad-Varianten und drei E-Gravelbike-Varianten.
Auseinanderhalten könnt ihr die im Wesentlichen anhand dreier Merkmale:
- der Reifenbreite
- der Schaltung
- des Lenkers
Traktion vs Geschwindigkeit
Typisch für ein Gravelbike haben das Solace Gravel eRide 10, das Solace Gravel eRide 20 sowie das Solace Gravel eRide 30 die wesentlich breiteren Reifen aufgezogen als die Rennräder Solace eRide 10 und Solace eRide 20. Ganze 50 Millimeter messen die Schwalbe G-One Overland EVO, die bei den Erstgenannten zum Einsatz kommen. Das Modell hat seine Stärken auf der Straße und auf trockenen unbefestigten Wegen. Mit 38 Millimetern fällt der Schwalbe PRO ONE EVO Super Race dagegen merklich schmaler aus. Noch auffälliger als das ist jedoch sein fast konturloses Profil. Schwalbe sagt über den Slick, er sei der beste Rennradreifen, den das Unternehmen je auf den Markt gebracht habe. Neben einem quasi nicht wahrnehmbarem Rollwiderstand besitzt er trotzdem mit einer V-Guard-Einlage einen moderaten Pannenschutz.
1fach vs 2fach
Beim Blick auf die Schaltung fällt sofort auf, dass die Gravel-Modelle sich mit einem Kettenblatt begnügen. Es gehört zu den Schaltgruppen Force Xplr beziehungsweise Rival von Sram. Deren Schaltwerke sind auf Kassetten ausgelegt, deren Zähneanzahl ein größeres Spektrum abdecken. Ihre größeren Schaltröllchen wiegen minimal mehr, erhöhen gleichzeitig jedoch die Belastbarkeit und damit die Standfestigkeit.
An den Rennrädern findet ihr die klassische Kombination aus zwei Kettenblättern. Geschalten werden diese elektronisch. Die dazugehörigen Kassetten der Dura-Ace- und Ultegra-Schaltgruppen beschränken sich auf ein kleineres Spektrum, was Größe und Gewicht spart.
Kontrolle vs Aerodanymik
Beim Lenker verbirgt sich der Unterschied zwischen Gravel und Rennrad hinter einem einzigen X. Je nach Fahrradtyp werden entweder die Lenker-Vorbau-Einheit Syncros Creston iC SL X oder die Syncros Creston iC SL verbaut. Der Lenker der Einheit weist einen Flare von 16 Grad auf. An dem sind also die Rohre des Unterlenkers um 16 Grad nach außen gestellt, was für eine bessere Fahrkontrolle auf ruppigem Untergrund sorgen soll.
Der Lenker ohne X verzichtet auf den Flare. Stattdessen liegt der Unterlenker zehn Millimeter tiefer unter dem Oberlenker. Im Unterlenkergriff gelangt ihr auf dem E-Rennrad somit in eine etwas gestrecktere Haltung, in der ihr der entgegenströmenden Luft eine kleinere Angriffsfläche bietet.
Eher E-Rennrad oder E-Gravelbike?
Trotz aller Qualität beeinflussen Komponenten und Anbauteile natürlich nur in einem bestimmten Maße den Charakter eines Fahrrades. Vieles steht und fällt grundsätzlich mit dem Rahmen. Nach unserer Einschätzung weist der dann doch eher in Richtung Gravel. Der Sitzwinkel fällt im Vergleich zu einem Rennrad etwas flacher aus. Je nach Rahmengröße beträgt er beim Solace eRide zwischen 69,5 Grad und 71 Grad. Im Falle des Addict RC eRide sind es hingegen zwischen 71 Grad und 73,3 Grad. Hinzukommt ein längerer Radstand. Mit dem büßt das Solace etwas an Wendigkeit in den Kurven ein. Dafür generiert er mehr Komfort und Laufruhe abseits der Straße. Auf diesen Passagen erweist sich zudem der größere Abstand vom Tretlager zum Untergrund als Vorteil. Er verhindert, dass ihr beim Überfahren selbst kleinerer Hindernisse aufsetzt oder schnell mit den Pedalen hängenbleibt. Wer lieber ausweicht, statt springt, wird das feinfühlige Steuern durch den kürzeren Vorbau mögen. Und auch die vorhandenen Aufnahmen für Schutzbleche und Gepäckträger würde es an einem reinrassigen Rennrad nicht geben.
Modellvielfalt mit Abstrichen
Vom aus Carbon gefertigten Rahmen bietet Scott jeweils fünf verschiedene Größen an – von XS bis XL. Je nach Ausstattung bewegen sich die E-Rennräder bei Preisen von 7.999 Euro bis 11.999 Euro. Unter den E-Gravelbikes reicht die Spanne von 5.999 Euro bis 9.999 Euro. Die jeweiligen Topmodelle verfügen serienmäßig über einen Zusatzakku mit 160 Wattstunden, den ihr am Flaschenhalter des Sitzrohres anklicken könnt. Gewichtstechnisch nehmen sich beide nicht viel. Das Scott Solace eRide 10 kommt auf rund 11,8 Kilogramm, während beim Scott Solace Gravel eRide 10 die Waage bei rund 12,6 Kilogramm stehenbleibt.
Schon mehrfach haben wir die auffällige Diskrepanz zwischen den Modellen angesprochen, die bei Scott zwischen den Fahrrädern liegen, die auf Männer ausgerichtet sind und denen, die stärker den Körperproportionen von Frauen entgegenkommen. Diese gewisse Ungerechtigkeit fällt erneut ins Auge. Erstens umfasst die Modellreihe nur ein einziges Contessa-Exemplar, das Contessa Solace eRide 15. Damit wird der Damenwelt bereits vorab die Wahl zwischen einem E-Rennrad und einem E-Gravelbike genommen. Und zweitens entspricht dessen technische Ausstattung wiedermal nur der des günstigsten Herrenmodells. Scott, wir freuen uns auf den Tag, an dem dieser Absatz überflüssig geworden ist, weil das Sortiment ausgewogener konzipiert wurde.
Scott Solace eRide für die Saison 2023 im Überblick
- Varianten: Solace eRide 10, Solace eRide 20, Solace Gravel eRide 10, Solace Gravel eRide 20, Solace Gravel eRide 30
- Motor: TQ HPR50
- Akku: TQ Internal 360 Wh, Range Extender 160 Wh
- Display und Bedieneinheit: TQ Display, TQ Remote
- Antrieb: Shimano Dura-Ace Di2, Shimano Ultegra Di2, Sram Force eTap AXS, Sram Rival eTap AXS, Sram Rival
- Bremsen: Shimano BR-R9270, Shimano BR-R8170, Sram Force eTap AXS, Sram Rival eTap AXS, Sram Rival
- Maximal zulässiges Gesamtgewicht: 120 kg
Scott Contessa Solace eRide 15 für die Saison 2023 im Überblick
- Motor: TQ HPR50
- Akku: TQ Internal 360 Wh
- Display und Bedieneinheit: TQ Display, TQ Remote
- Antrieb: Sram Rival
- Bremsen: Sram Rival
- Maximal zulässiges Gesamtgewicht: 120 kg
Bilder: Scott Sports SA