Gut zweieinhalb Jahre ist es her, dass wir auf eine Schaltnabe für E-Bikes aufmerksam geworden sind, auf der mal nicht Rohloff, Enviolo oder Shimano stand. Auf der Eurobico 2021 war Revolute mit einem Stand im Außenbereich vertreten und lud in Frankfurt zu Testfahrten mit seiner Hub1 ein. In diesem Monat liefert das Start-Up aus Kassel nun die ersten Exemplare des Schaltsystems aus – und zwar als Set für diejenigen, die an ihrem E-Bike von der Kettenschaltung gern zur Nabenschaltung wechseln möchten. Auf die ersten E-Bikes mit serienmäßig verbauter Hub1 braucht ihr vermutlich aber auch nicht mehr allzu lang warten.
Klares Ziel vor Augen
Bei der Entwicklung der Nabe hat der Hersteller von vornherein ausschließlich an den Einsatz an E-Bikes gedacht. Das setzt der späteren Vermarktung naturgemäß gewisse Grenzen. Gleichzeitig vereinfacht es die Arbeit der Ingenieure, da so eine ganz klare Stoßrichtung vorgegeben ist. Zudem sorgt Revolute für einen gewissen Ausgleich der Beschränkung, in dem sich die Hub1 innerhalb des Segments wiederum für jeden E-Bike-Typ eignen soll – vom City-E-Bike bis zum E-Lastenfahrrad.
Innerhalb des Wettbewerbs dürfte sich diese Nabe wohl im Mittelfeld wiederfinden. Mit ihren sechs Gängen und der Übersetzungsbandbreite von 396 Prozent reicht sie nicht an Modelle wie die 3X3 von H+B Hightech oder Rohloffs Speedhub E-14 heran. Bei denen gliedert sich eine Bandbreite von jeweils deutlich über 500 Prozent auf neun respektive 14 Gänge. Die Topmodelle von Enviolo wie die Enviolo Trekking und die Enviolo Heavy Duty lässt die Hub1 dagegen knapp hinter sich. Die Naben des italienischen Herstellers kommen lediglich auf 380 Prozent, bringen allerdings den Komfort des stufenlosen Schaltens mit sich.
Schräge Sache
Unter der Gehäusewand der Nabe verbirgt sich ein doppeltes Planetengetriebe mit schräg verzahnten Zahnrädern. Vergleichbare Designs kennen manche von euch vielleicht aus dem Automotive-Bereich. Und Planetengetriebe gelten unter den E-Bike-Naben längst als aktueller Stand der Technik, auf den viele Mitbewerber ebenfalls zurückgreifen. Besondere Erwähnung verdient die Schrägverzahnung im Falle von Revolute. Durch die angewinkelten Zahnräder baut sich der Druck allmählich auf, wenn die Zähne ineinandergreifen. Daraus resultiert ein leiserer Betrieb als bei anderen Konstruktionen. Nachteil dieser Lösung ist eine geringere Effizienz. Die Zähne greifen weniger direkt ineinander als bei einem herkömmlichen Stirnrad. Zudem sind sie etwas kürzer in Kontakt miteinander.
Sozusagen zum guten Ton für eine moderne Nabenschaltung gehört das Schalten unter Last. Früher musstet ihr für Gangwechsel bei einer Nabenschaltung während der Fahrt kurz das Pedalieren pausieren oder anhalten. Nur dann war ein exaktes, zuverlässiges Einlegen des neuen Ganges garantiert. Heutzutage bedarf es nicht mehr solcher Kunstgriffe. Damit ihr zum Beispiel mit der Hub1 in jeder Fahrsituation schalten könnt, wird von der Antriebskraft kurz etwas für die benötigte Schaltkraft abgezweigt. Damit das sowohl beim Hoch- als auch beim Herunterschalten reibungslos funktioniert, nutzt Revolute ein Doppel-Zug-System. Das stellt sicher, dass für jeden Schaltvorgang die gleiche Schaltkraft genügt. Gerade für den Einsatz bei E-Bikes mit sehr leistungsstarken Motoren bedeutet diese Robustheit ein Plus in Sachen Standfestigkeit.
Zum eigentlichen Schalten verbaut der Hersteller einen Drehgriffschalter. Nicht wundern, die Sprünge zwischen den einzelnen Gängen werdet ihr wohl deutlicher spüren als bei den Mitbewerbern. In den niedrigeren Gängen hat Revolute die Sprünge ganz bewusst kleiner ausgelegt. Das soll euch genügend Optionen vor allem beim Fahren bergan bieten und verhindern, dass ihr gefühlt nur einen einzigen Gang für solches Terrain habt. Die Unterschiede in den höheren Gängen fallen dagegen größer aus. Hintergedanke dabei ist, dass ihr genügend Fahrt in der Ebene und bergab generieren könnt.
Rückwärtsfahren für Fortgeschrittene
Ein zweites Alleinstellungsmerkmal neben der Schrägverzahnung beim Getriebe ist der Umstand, dass diese Nabe sich nicht rückwärts dreht. Kommt das E-Bike zum Stehen, steht es dort auch erst einmal. Klingt merkwürdig, hat aber durchaus Vorteile. Seid ihr zum Beispiel mit einem besonders vollgepackten E-Bike unterwegs und müsstet in einem Anstieg anhalten, würde das Fahrrad zurückrollen, wenn ihr nicht die Bremse betätigt. Ist im Fahrrad allerdings eine Hub1 verbaut, übernimmt die Nabe diese Aufgabe. Die Berganfahrhilfe verhindert, dass ihr ungewollt den Rückwärtsgang einlegt. Zum Teil leisten ja Motoren wie die von Boschs Smart System bereits Ähnliches. Um dort die Hill-Hold-Funktion zu aktivieren, müsst ihr allerdings vorher auch zur Schiebehilfe wechseln. Zudem erlischt die Funktion nach ein paar Sekunden wieder. Da klingt die Berganfahrhilfe von Revolute nach der besseren Lösung.
So ganz ohne Rückwärtsrollen wäre im Alltag aber auch irgendwie doof. Gerade wenn es um das Rangieren beim Abstellen des Fahrrades geht oder das Ein- und Aussteigen aus dem Zug. Glücklicherweise hatte der Hersteller denselben Gedanken und hat deshalb vorgesorgt. Zum Rückwärtsschieben lässt sich die Hub1 in einen Neutralgang versetzen. Dafür dreht ihr den Schalter auf die Stellung „N“ und drückt am Drehgriff einen farbig abgesetzten Taster. So aktiviert ihr einen Freilauf an der Kurbel, setzt die Berganfahrhilfe außer Kraft und schiebt wie gewohnt euer E-Bike rückwärts.
Jährlicher Check oft ausreichend
Wichtig für das tägliche Fahren ist außerdem die Frage der Wartung. Spezielles Öl sorgt für einen möglichst langanhaltenden geschmeidigen Lauf der Nabe. Nach Angaben von Revolute empfiehlt sich ein erster Ölwechsel nach 1.000 gefahrenen Kilometern, spätestens aber nach einem Jahr. Bis zum nächsten Wechsel darf dann wieder ein Jahr vergehen. Außer ihr bringt schon vorher neue 5.000 Kilometer hinter euch. Dann diktiert die Strecke den Wartungsrhythmus.
Abgesehen vom Ölwechsel dürfte die Nabe euch kaum mit weiteren Servicewünschen belästigen. Darin liegt ja einer der wesentlichen Pluspunkte gegenüber einer Kettenschaltung. Die nötige Stabilität der Nabe im Laufrad sichert eine spezielle Form der Speichung. Auf der Bremsseite ist die Nabe radial eingespeicht, während die Speichen auf der Antriebsseite auf herkömmliche Weise tangential verlaufen und einfach gekreuzt sind. Durch das radiale Einspeichen soll sich die Steifigkeit erhöhen und das Gleichgewicht der Nabe besser erreichen lassen.
Voraussetzungen für die Montage
Über einen Einbau eines Laufrades mit einer Hub1 könnt ihr nachdenken, wenn die Ausfallenenden an eurem E-Bike einem der folgenden Standards entsprechen:
- offenes Ausfallende: 135 mm x 10 mm
- Steckachse: 142 mm x 12 mm
- Steckachse: 148 mm x 12 mm
Falls ihr ein E-Bike mit Steckachsen fahrt, wird in dem Falle die Achse durch Adapter ersetzt. Künftig könnte sich die Kompatibilität auf Achsbreiten von 150 Millimeter erweitern. Revolute prüft wohl aktuell, ob das umsetzbar ist.
Bei den Laufrädern deckt der Hersteller schon jetzt eine große Spanne ab. Von 20 Zoll bis 29 Zoll gibt es für alle Größen grünes Licht. Die Bremsscheiben dürfen 180 Millimeter beziehungsweise 203 Millimeter messen.
Ansonsten noch wichtig: Euer E-Bike braucht unbedingt einen Freilauf an der Kurbel beziehungsweise dem Motor. Andernfalls geht das Konzept mit der zuvor erwähnten Berganfahrhilfe und dem Neutralgang nicht auf.
Wenn ihr die Hub1 bei Revolute als Umrüst-Kit bestellt, liegen folgende Teile bei:
- Revolute Hub1 Nabenschaltung inkl. Bowdenzugschnellkupplung
- Drehgriff
- Bowdenzugset inkl. Zügen, Mänteln, Spannern
- Adapterset inkl. Bremsblockadapter, Drehmomentstütze, Schraubadapter, Steckadapter
- Bremsscheibe
- Ritzel oder Riemenscheibe
- Öl-Set zur Erstbefüllung
- Schrauben und Kleinteile
- Handbuch
Im Laufe des Februars soll die Nabe im Onlineshop von Revolute zu kaufen sein. Der Startpreis für das Set wird bei 1.198 Euro liegen.
Schon 2024 erste E-Bikes mit Hub1?
Trotz Anleitung gehören zu dem Wechsel von Kettenschaltung auf Nabenschaltung definitiv ein gewisses Selbstvertrauen sowie handwerkliches Geschick dazu. Wer lieber auf ein komplettes E-Bike mit der Hub1 von Revolute warten möchte, kann sich gern auch noch etwas gedulden. Im Moment gibt es zwar noch keine Hersteller, welche die Nabe serienmäßig verbauen. Allerdings befindet sich Revolute in Gesprächen mit verschiedenen Fahrradherstellern. Die haben entsprechende Exemplare für ausgiebige Tests erhalten. Derzeit verrät Revolute jedoch noch nicht, um wen es sich dabei handelt.
Auf seinen Social Media-Profilen tauchen immer mal E-Bikes mit einer integrierten Hub1 auf. Das sind allerdings Umbauten von Revolute selbst und keine vorab gezeigten Studien für Serienmodelle oder Ähnliches. Zu sehen gibt es unter anderem ein Nicolai G1 Eboxx. Von dem E-MTB führt Nicolai inzwischen Modelle mit Naben von Rohloff und 3X3 im Sortiment. Unwahrscheinlich, dass noch eines mit einer Hub1 dazukommt. Außerdem zu entdecken ist hin und wieder ein Tiefeinsteiger von Raymon. Wer weiß, vielleicht steckt dahinter eher ein Fingerzeig darauf, wohin die Reise demnächst gehen könnte.
Technische Angaben zur Nabenschaltung Revolute Hub1
- Anzahl der Gänge: 6, zusätzlicher Neutralgang
- Übersetzungsbandbreite: 396 %
- Schaltansteuerung: Drehgriff, manuell
- Maximales Eingangsdrehmoment: 250 Nm
- Gewicht: weniger als 2 kg
- Kompatibilität: 135 mm x 10 mm für offenes Ausfallende / 142 mm x 12 mm + 148 mm x 12 mm für Steckachse
Bilder: Revolute GmbH