Manche moderne vollgefederte E-Mountainbikes haben ein Gewichtsproblem. Ihr maximal zulässiges Gesamtgewicht beträgt 120 Kilogramm oder nur wenig mehr. Menschen mit einer Körperlänge von 1,90 Meter oder mehr und der Vorliebe für die Hantelbank im Fitnessstudio stoßen bei solchen E-Bikes schnell an die Grenzen des Zugelassenen. Selbst ohne Rucksack mit Proviant für eine Tour und den Ersatzakku. Warum aber liegt dieser Richtwert mitunter so niedrig? Und solltet ihr eure Kaufentscheidung davon abhängig machen? Diese und weitere Fragen haben wir Tim Salatzki gestellt, dem Leiter für Technik und Normung bei Zweirad-Industrie-Verband (ZIV).
Herr Salatzki, warum fällt das maximal zulässige Gesamtgewicht mancher vollgefederter E-Mountainbikes relativ gering aus?
Hinter der Zahl verbergen sich ganz verschiedene Anforderungen. Zum einen natürlich das simple mechanische Aushalten einer Last. Aber es geht zum Beispiel auch darum, ein bestimmtes Gewicht sicher und rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Die Bremsleistung spielt bei der Festlegung dieser Grenze eine große Rolle.
Bei Carbon können viele einen geringeren Wert vermutlich noch nachvollziehen. Selbst bei E-Bikes mit Rahmen aus Aluminium trifft man aber 120 Kilogramm und nur ein bisschen mehr an, was durchaus verwundern kann. Welchen Einfluss hat denn das Material des Rahmens auf diese Werte?
Da gibt es tatsächlich keine allgemeingültige Regel. Schließlich ist kein Fahrrad dauerfest konstruiert. Die Materialien, die Materialzusammensetzung, die Legierungen der Metalle und auch die Verbindungstechnik, all das ist auf ein bestimmtes Nutzungsszenario, eine Nutzungsdauer und eine Nutzungsintensität ausgelegt. Wie ein Pkw. Auch von dem halten nur wenige eine Millionen Kilometer durch. Irgendwann gehen Teile kaputt. So sieht’s beim Fahrrad auch aus.
Welche Faktoren berücksichtigt denn das maximal zulässige Gesamtgewicht noch, abgesehen vom Rahmenmaterial?
Oh, die Liste ist lang. Meine Fahrweise beeinflusst zum Beispiel sehr stark die Haltbarkeit der mechanischen Bauteile. Weiche ich bestimmten Ereignissen wie Wurzeln oder Sprüngen aus oder nehme ich alles mit. Jemand, der sehr sportlich fährt und das Rad sehr intensiv nutzt, belastet das Material stärker als jemand, der wenig fährt.
Na klar, das leuchtet ein. Was noch?
Gewicht ist und bleibt ein anderer wichtiger Punkt. Sitzt auf dem Fahrrad eine recht leichte Person hat das andere Auswirkungen, als wenn da eine sehr schwere Person drauf sitzt. Neben dem Rahmen wirkt sich das auf Teile wie Speichen oder Felgen aus, bei denen ein höheres Gewicht zu einem höheren Verschleiß führt. Natürlich bricht kein Fahrrad nach fünf Kilometern zusammen, das auf 120 Kilogramm ausgelegt ist und plötzlich mit 125 Kilogramm belastet wird. Im Sinne der Sicherheit sollten die Grenzwerte jedoch grundsätzlich eingehalten werden.
Den Zusammenhang zwischen Gewicht und Bremsvermögen haben Sie bereits eingangs unterstrichen. Den müssen wir vermutlich auch mit hinzuzählen?
Unbedingt. Die Bremsleistung richtet sich nach dem Fahrergewicht und dem Gesamtgewicht des Fahrrades. Überlade ich ein Fahrrad, das auf ein bestimmtes maximal zulässiges Gesamtgewicht ausgelegt ist, steigt die Gefahr für eine Fehlfunktion beträchtlich.
Dann haben wir jetzt Rahmenmaterial, Fahrtechnik, Gewicht und Bremsleistung. Sehen Sie weitere Faktoren?
Nicht zu vernachlässigen ist der Einsatzzweck. Früher konnte man im Baumarkt ein Fahrrad kaufen, das sah aus wie Mountainbike, war aber eigentlich gar keines. Es wurde auch gar nicht nach den Anforderungen für Mountainbikes geprüft. Es gilt realistisch vor dem Kauf abzuwägen: Was möchte ich mit dem Fahrrad machen? Für welchen Zweck werde ich das Fahrrad wie intensiv nutzen?
Spätestens jetzt klingt das nach einem recht komplexen Spannungsfeld.
Das ist es auch. Zumal sich diese ganze Matrix nicht auf eine feste Zahl übertragen lässt, nach dem Motto: Dieses Fahrrad hält soundso lange. Um dem transparenter zu begegnen, weisen immer mehr Fahrradhersteller für ihre Modelle neben dem Gesamtgewicht zusätzlich konkrete Nutzungsklassen aus. Aus denen geht hervor, wofür das E-Bike ausgelegt ist. So erfahre ich, zum Beispiel, dass dieses Modell nicht nur massiver aussieht, sondern als Downhill-Bike konzipiert wurde und entsprechende Belastungen aushält.
Lassen sich diese Nutzungsklassen von Hersteller zu Hersteller vergleichen oder nutzt jeder seine eigene Einteilung?
Dahinter steckt ein typisches Normungsthema. Letztendlich sind die Klassen von einer einheitlichen Norm abgeleitet. Darin sind Details wie der geeignete Fahruntergrund und eventuelle Sprunghöhen beschrieben. Erneut mit fließenden Übergängen. Denn ein Fahrrad, das sich für Sprünge bis zu 50 Zentimeter eignet, darf nicht bei einem Sprung aus einer Höhe von 51 Zentimetern kaputtgehen. Andererseits muss man irgendwo eine Grenze ziehen. Im Moment gibt’s durchaus Hersteller mit eigenen Systematiken. Also lieber die jeweilige Definition der Hersteller genau durchlesen. Dann wird auch deutlich, ob sich die Klassen unterschiedlicher Hersteller wirklich vergleichen lassen. Wir als ZIV tun alles dafür, dass es hier künftig einheitlichere Kategorien gibt.
Angenommen, ich möchte ein E-Bike kaufen, liege aber 15 Kilogramm über dem angegeben zulässigen Gesamtgewicht. Macht sich ein Händler strafbar, der mir dieses Fahrrad verkauft?
Ganz klar nein. Gleichzeitig sollten Sie unmissverständlich vermittelt bekommen, dass Sie den zulässigen Wert überschreiten und welche Konsequenzen daraus folgen können. Bei fünf Kilogramm geht nicht gleich etwas kaputt. Bei 15 oder 20 Kilogramm mehr ist das schon eine andere Hausnummer. Sollte es jemals zu einem Unfall kommen, dessen Ursache im Überschreitens dieses Wertes liegt, wird die Frage der Haftung sicher ernsthaft diskutiert.
Wie kann man sich denn stark vereinfacht ein Prüfverfahren zur Ermittlung des jeweiligen Grenzwertes vorstellen?
Als Basis dafür dienen mechanische Prüfanforderungen. Diese wurde durch Betriebslastenaufnahmen verifiziert. Lasten, die auf das Fahrrad einwirken, lassen sich inzwischen im Fahrbetrieb genauestens messen. Welche Kräfte wirken auf das Tretlager, den Rahmen, Vorbau und so weiter. Das alles wissen wir und diese Werte sind direkt mit dem realen Fahrbetrieb verbunden. Ausgehend von den Messwerten werden zuerst die entsprechenden Anforderungen festgelegt. Dann folgen die notwendigen Prüfungen auf dem Prüfstand.
Liegen diese Anforderungen eventuell zu hoch?
Keineswegs. Zu hohe Prüfanforderungen wären sogar kontraproduktiv. Hersteller müssten plötzlich mit größeren Materialstärken arbeiten. Das Ergebnis wären schwerere Fahrräder, die sicher weniger attraktiv für Kunden wären. Das Fahrrad ist jedoch ein gelebter Leichtbau. Vergleicht man das transportierte Gewicht mit dem Gewicht des Fahrzeugs, stellt es das Auto zum Beispiel klar in den Schatten. Wir haben die Prüfanforderungen so definiert, dass das Leichtbaufahrzeug Fahrrad sicher den vorhergesehenen Nutzungszeitraum und die Nutzungsintensität meistert. Haut das vom Gewicht her nicht hin, sollte ich besser ein anderes Modell ins Auge fassen. Eines, dessen maximal zulässiges Gesamtgewicht besser berücksichtigt, wie schwer ich bin und welche Lasten ich gewöhnlich mit dem Fahrrad transportieren möchte. Wir empfehlen ganz klar, die jeweiligen Richtwerten der Hersteller zu berücksichtigen.
Ist die Frage des maximal zulässigen Gesamtgewichts ein reines Kundenthema oder spielt das auch bei den Herstellern eine Rolle?
Nicht zuletzt aus rechtlicher Sicht ist es für Hersteller wichtig zu sagen, wofür das jeweilige Fahrrad ausgelegt ist. Sicherheit steht an der Stelle ganz oben. Gleichzeitig kann es nicht dauerfest und sicher für jeden denkbaren Zweck sein. Sonst hätten wir das Einheitsfahrrad, das 50 Kilogramm wiegt und fast nie kaputtgeht. Damit möchte aber niemand fahren.
Welche Entwicklung des Richtwertes erwarten Sie in den kommenden Jahren?
Auf alle Fälle sehen wir einen Trend hin zu Fahrrädern mit einer höheren Zuladung. Vor allem dort, wo es darum geht, mehr als nur einen Laptop zur Arbeit oder Kinder auf dem E-Bike mitzunehmen. Der Bedarf am Markt ist vorhanden. Hersteller werden immer schauen: Was kennzeichnet meine Kundinnen und Kunden? Welche Wünsche haben sie? Geht das in Richtung eines höheren Gesamtgewichts, wird sich ein Hersteller anpassen. Und das Ergebnis sieht auch nicht zwangsläufig wie ein Rehafahrrad aus, um es etwas überspitzt zu sagen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Salatzki.
Bilder: Zweirad-Industrie-Verband; Winora-Staiger GmbH; Santa Cruz Bicycles, LLC
Ein sehr wichtiges und zugleich leidiges Thema, dass mich nervt und ich immer wieder anspreche! Denn es wird im Handel nicht bzw. nur sehr ungerne darüber gesprochen. Nur auf explizite und hartnäckige Nachfrage. Auch die Hersteller verstecken die Werte irgendwo in der Anleitung (statt z.B. auf einem deutlich sichtbaren Aufkleber!). Der Grund ist einfach:
Die meisten Hersteller haben, zumindest für die Rahmengrößen L und XL, lächerlich geringe Zuladungswerte/Gesamtgewichtswerte, sowohl im Bio-, viel mehr noch im E-Bike-Bereich (Gesamtgewicht bleibt oft gleich, Fahrrad wiegt aber 10 Kg mehr!). Geht gar nicht!
Ich bin dafür, immer die Zuladungswerte zu definieren und verpflichtend anzugeben. Die sind eindeutig und besser verständlich, und sprechen eine deutliche Sprache (Verbraucherschutz!). Für L und (X)XL Räder sollte immer ein Fahrergewicht von min. (!) 120 Kg zugelassen sein. Gepäck dann je nach Fahrradtyp ca. 3 bis min. 25 Kg. Egal, ob Bio- oder E-Bike. Dann sind alle auf der sicheren Seite! (Hersteller wie z.B. Cannondale und Spezialized praktizieren das schon heute!)
Danke für den Artikel. Habe Cube
SLT 120 Fully. Max 135kg Fahrer+Rucksack + Fahrrad. Aber Systemgewicht 160. DH Gepäck am HINTERAD mit Gepäckträger + 25kg. Rad wird dann vom Verwendungstyp Cube 4 zu 2.
Was gilt jetzt? Es gibt ja scheinbar System und Gesamtgewicht bei manchen
Hallo,
vom Einsatz her sehe ich da keinerlei Einschränkung. An sich bleibt es ja trotz des Gepäckträgers ein Mountainbike. Und bezogen auf das Gewicht musst du einfach schauen, dass du mit allem Drum und Dran eben möglichst unter den 160 Kilogramm bleibst.
Sportliche Grüße, Matthias