E-Bike-Fahren ist toll. Die Akkus halten stundenlang durch. Der Motor sowieso. Nur wir Menschen, wir schwächeln viel schneller. Weil der Hintern weh tut, die Verspannung unsere Schultern lahmlegt oder ein Finger nach dem anderen taub wird. Profis im Radsport greifen seit Jahren auf Expertenwissen und bildgebende Messtechnik zurück, um solche Beschwerden erst gar nicht aufkommen zu lassen. Bikefitting lautet das Zauberwort. gebiomized zählt zu den international renommiertesten Anbietern dieses professionellen Abstimmen der Kontaktpunkte am Fahrrad. Jetzt bildet das Unternehmen aus Münster Interessierte für das Bikefitting am E-Bike aus. Wir haben mit Nis Sienknecht von gebiomized über diese Technologie gesprochen. Worin unterscheidet sich dieser jüngste Ableger vom bisherigen Bikefitting? Wie können E-Bike-Fahrende davon profitieren?
Herr Sienknecht, wie definiert gebiomized ein Bikefitting?
Viele kennen bestimmt die Situation: Ich geh zum Händler. Der stellt mir mein Fahrrad ein. Das bezeichnen wir als Bikesizing. Sprich, ein Fahrrad in der richtigen Größe finden. Bikefitting definieren wir als die Anpassung aller Kontaktpunkte zwischen Mensch und Fahrrad. Die sichtbaren Kontaktstellen sind Sattel, Fuß und Hand. Um daraus eine funktionierende Einheit zu schaffen, müssen wir uns all diese Kontaktstellen genau anschauen. Dafür nutzen wir Druckmesstechnik, die bei gebiomized selbst entwickelt wurde und gefertigt wird. Sie macht die unsichtbaren Stellen sichtbar. Schließlich sehen wir nicht, was unter dem Hintern passiert, weil wir mit dem Hintern auf dem Sattel sitzen. Wir sehen nicht, was in den Schuhen passiert, weil da die Füße drinstecken und diese Kontaktstelle quasi verdecken. Das gleiche gilt für die Hand.
Wie kann man sich so ein Bikefitting vorstellen?
In der Regel kommt man in ein Labor oder in den Fahrradladen. Dort wird das eigene Fahrrad in einem Rollentrainer eingespannt. Im Gespräch tauschen sich die Beteiligten aus, mit welchen Problemen die Betreffenden kämpfen. Meist sind das Sitzprobleme. Oder es zwickt im Nacken. Oder Hände oder Füße schlafen ein. Dann prüfen die Experten die Beweglichkeit der KundInnen. Gibt es muskuläre Dysbalancen, Haltungsschäden oder andere Einschränkungen? Natürlich gehört ein genauer Blick auf das Fahrrad dazu. Als nächstes folgt ein Warmup. So wird man mit dem Fahren auf der Rolle vertraut und verliert das Gefühl, plötzlich alles richtig machen zu müssen, weil gleich die Kameras angehen. Zwei von denen filmen das Fitting. Eine ist frontal auf das Fahrrad gerichtet, eine seitlich. Dann wird die Druckmessfolie auf den Sattel gelegt. Das ist die wichtigste. An ihr lassen sich die meisten Einstellungen ablesen. Fuß- und Lenkerdruck kommen meist nur bei LeistungssportlerInnen hinzu. Während der Fahrt können die Menschen das Bild vom Sattel direkt auf dem Bildschirm verfolgen. Sie erkennen verschiedene Bereiche. Wo es rot blinkt, ist viel Druck. Orange, gelb, grün und blau bedeuten weniger Druck. Zusätzlich schaut man sich auf dem Video die Beinachsenstellung an. Wie gestreckt oder wie gestaucht sitzt jemand auf dem Fahrrad? Welche Kniewinkel zeigen sich? Um so etwas darzustellen, werden vorher Marker auf das Knie geklebt. So sieht man, was passiert, wenn ich den Sattel höher stelle. Wird der Winkel höher oder reagieren die Fahrenden einfach darauf, indem sie die Ferse anheben und der Kniewinkel bleibt gleich? Nächste Maßnahme. Wieder messen. Nächste Maßnahme. Wieder messen. Bis man der optimalen Sitzposition immer näher kommt.
Was kann ein professionelles Bikefitting im besten Falle bewirken?
Im besten Falle sind es zwei Sachen. Am wichtigsten finde ich den Spaß am Fahrradfahren. Wer schmerzfrei fährt, greift lieber und öfter zum Fahrrad. Die meisten Leute gehen zu einem Fitting, weil sie irgendwelche Probleme haben. Durch die passende Position auf dem Fahrrad lassen sich von Anfang an Probleme ausschließen. Das heißt, es ist eine gute Verletzungsprophylaxe, vor allem beim Vorbeugen von Überlastungen.
Zu welchen konkreten Maßnahmen führt ein Bikefitting?
Das variiert enorm. Mich erstaunt immer wieder, welch großen Einfluss schon winzige Veränderungen haben können. Letztens saß ich als Proband während unseres ersten E-Bike spezifischen Bikefitting-Kurses auf einem E-Bike mit Flügelgriffen. Alles fühlte sich super angenehm an. Allerdings haben mich diese Flügelgriffe in eine Haltung gebracht, in der meine Hände nach innen kippten. Als Folge waren meine Arme plötzlich sehr gestreckt, obwohl meine Sitzposition auf dem Rad eigentlich zu kurz war. Alles endete in einem verspannten Nacken, den ich schon nach kurzer Zeit gespürt habe. Dann haben wir die Flügelgriffe durch runde Griffe ersetzt. Das war ein himmelweiter Unterschied. Ich hätte nicht gedacht, dass im Tausch der Griffe die Lösung liegt. Solche Aha-Effekte meine ich.
Warum braucht es ein spezielles Bikefitting für E-Bikes?
Das liegt vor allem an der Art und Weise wie Menschen mit einem E-Bike fahren und darauf sitzen. Akku und Motor machen ein E-Bike in der Regel deutlich schwerer als ein herkömmliches Fahrrad. Nur wenige Fahrradfahrende wechseln deshalb auf dem E-Bike regelmäßig in den Wiegetritt. Du variierst viel weniger die Sitzposition auf dem schweren Fahrrad als auf einem leichten. Abseits vom Gewicht sorgt allerdings der Motor für den größten Unterschied.
Inwiefern genau?
Gehen wir von einer absolut identischen Sitzposition aus. Ich fahre ohne Motorunterstützung und ich fahre im Turbo-Modus. Unsere Studien haben gezeigt, dass sich der Satteldruck signifikant erhöht. Und zwar um 20 bis 30 Prozent, nicht selten sogar bis zu 40 Prozent. Warum? Weil die Beine weniger Kraft auf das Pedal bringen müssen und man sich während des Pedalierens nicht so weit herausdrückt aus dem Rad. Zudem verändert sich die seitliche Beckenbewegung. Ohne Motorunterstützung bewegen wir uns dreimal so viel wie mit elektrischem Antrieb. Beim E-Bike-Fahren sitzt du einfach ganz tief in diesem Sattel drin. Hinzukommt die tendenziell eh schon aufrechtere Sitzposition auf vielen E-Bikes. Diese geringere Variabilität beim Sitzen kann auf Dauer Probleme deutlich verstärken. Wir brauchen aber eine bestimmte Abwechslung beim Sitzen. MountainbikerInnen klagen beispielsweise viel seltener über Sitzprobleme als RennradfahrerInnen. Klar, sie gehen einfach viel öfter aus dem Sattel, in der Kurve oder im Anstieg. Das macht was aus. Deshalb verschiebt sich der Fokus beim Bikefitting für E-Bikes viel stärker auf den Sattel.
Ist Bikefitting für E-Bikes demnach etwas vollkommen Anderes als das bisherige Bikefitting für Fahrräder ohne E-Antrieb?
Völlig anders sicher nicht. Vieles ist individueller, weil die Zielgruppe viel breiter ist. Das reicht von ProfisportlerInnen bis hin zu jemandem, der durch das E-Bike nach langer Zeit überhaupt erst wieder einsteigt ins Radfahren. Da bekommen plötzlich Details um das Radfahren herum ein ganz andere Gewichtung. Beim Fahrrad als Sportgerät haben zum Beispiel Pedale und Fuß meist eine festere Verbindung. Manchmal mit Klickpedal, manchmal auch mit einer Bärentatze. Zudem nutzt du meist die gleichen Schuhe. Beim Alltagsgegenstand E-Bike liegt der Fall anders. Im Sommer radelst du mit Sneakern und im Winter mit robusteren Schuhen. Bei denen baut die Sohle schnell drei Zentimeter höher auf oder so. Für den Kniewinkel sind das massive Unterschiede. Beim Fitting spielt es eine Rolle, mit welchen Schuhen die Menschen am häufigsten fahren oder ob sie eine Radhose mit Sitzpolster nutzen. Die Unterschiede sind deutlich messbar. Fährst du dauerhaft einen anderen Schuh, dann pass die Sattelhöhe an. Sonst stimmt der Kniewinkel nicht mehr. Das ist erst einmal ärgerlich, weil das aufwendig ermittelte Setup sich verändert und das eigentlich so gute Gefühl plötzlich fehlt. Darin liegt aber auch die Chance für mehr Variabilität in der Sitzposition. Trägst du die Schuhe mit den höheren Absätzen, stellst du den Fuß eher mit der Ferse aufs Pedal. Bei den anderen stattdessen eher den Ballen. Das ergibt ähnliche Winkel. Aber das muss man wissen – und man lernt und versteht es am besten im dynamischen Bikefitting.
Für wen bietet sich aus Ihrer Sicht ein Bikefitting für E-Bikes an und für wen vielleicht auch nicht?
Hast du gar keine Probleme und alles funktioniert, brauchst du es natürlich am wenigsten. Für alle anderen bietet es sich auf jeden Fall an. Je längere Strecken du fährst, desto wichtiger wird das aus meiner Sicht. Gerade wenn es um das Pendeln geht und du zehn, 15, 20 25 oder noch mehr Kilometer pro Strecke zurücklegst, weil du sehr lange in einer Position sitzt. Sind es dagegen die zwei Kilometer zum Bahnhof, dann anderthalb Kilometer zum Einkaufen und dann 800 Meter, um dein Kind zur Kita zu bringen, ist das etwas anderes. Möglicherweise sitzt du schlecht auf dem Rad und hast keinen Spaß – was allein Grund genug wäre, das Thema anzugehen. Aber du wirst es wahrscheinlich nicht mit massiven Sitzproblemen oder Nackenschmerzen zu tun bekommen. Schließlich erholst du dich durch das wiederholte Absteigen immer wieder. Das macht die Sitzposition nicht besser, aber die Probleme sind weniger präsent.
Was ist mit Menschen, die von einem herkömmlichen Fahrrad auf ein E-Bike umsteigen?
Stimmt, für die könnte es ebenfalls interessant sein. Gut möglich, dass sie bisher vielleicht 30 Minuten im Sattel saßen und dann aufgrund der Anstrengung eine erste Pause gemacht haben. Dank der Motorunterstützung können sie plötzlich vier Stunden an einem Tag auf dem Fahrrad sitzen. Der Unterschied zwischen 30 Minuten in einer schlechten Position und vier Stunden in der schlechten Position ist riesig. Das heißt, je mehr sie ein bestimmtes E-Bike fahren, desto gewinnbringender wird ein Fitting. Das gilt natürlich erst recht für den Fall, dass schon Probleme präsent sind. Wenn ich weiß, ich habe Schulterprobleme, zwei Bandscheibenvorfälle erlitten, mein Knie tut immer weh oder was auch immer.
Wie wichtig Sattel und Satteldruck beim Bikefitting sind, haben Sie schon mehrfach unterstrichen. Macht aus Ihrer Sicht die Fahrradbranche bei der Ausstattung der Räder da einen Fehler?
Jein. Das E-Bike hat mit einem bestimmten Sattel die technische Abnahme bei einem Prüfinstitut durchlaufen und dafür die Freigabe zum Verkauf erhalten. Deshalb muss es jetzt entweder auch mit diesem Sattel verkauft werden oder aber ohne Sattel. Dann braucht es jedoch eine exakte Liste freigegebener Alternativsättel. Dies besagen entsprechende Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union. Als Händler kann man folglich nicht bei Hersteller XY einfach mal 40 Räder ohne Sattel bestellen, weil man seinen KundInnen gern von vornherein andere mitgeben möchte. Hersteller entscheiden sich also für ein Modell, das für viele Menschen so halbwegs passt. Gleichzeitig soll es wenig kosten, damit der Gewinn am Fahrradverkauf steigt. Viele Fahrräder erhalten so einen unpassenden Sattel. In der Regel ist der zu weich. Im ersten Moment fühlt er sich gut an. Das genügt, wenn sich ein Fahrrad nach einer fünfminütigen Testfahrt verkauft. Später auf längeren Fahrten passiert dann gern Folgendes: Das Becken sinkt sowohl mit den knöchernen Strukturen als auch mit den Weichteilen tiefer in den Sattel ein. In den weicheren Strukturen verlaufen sehr viele und große Nervenkanäle. Die drücke ich mir dann kontinuierlich ab. Mit geringem Druck, aber über längere Zeit. So entstehen Schmerzen, Taubheitsgefühle, Kälte, Wärme und anderes.
Wie präsent ist Ihrer Einschätzung nach das Thema Bikefitting für E-Bikes momentan in der Fahrradbranche?
Darf ich Minuswerte nennen? Es ist definitiv noch kein großes Thema. Auch wir stellen uns in dem Bereich gerade erst gezielt auf. Eventuell wendet sich der Fachhandel relativ schnell dem Thema zu. Denn er könnte damit mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das eine ist ein super Kundenservice. Du kommst deinen KundInnen nie so nah wie bei einem Bikefitting. In einer lockeren Atmosphäre spricht man über persönliche Probleme und kann wirklich helfen. Wer den Unterschied zwischen einem Bikesizing und einem echten Bikefitting erfahren hat, baut ein ganz anderes Vertrauensverhältnis zu der Händlerin, dem Händler auf. Aus unserer Sicht bietet das dem Handel auch die Chance, sich ein Stück weit von den aktuellen Rabattschlachten im Internet abzugrenzen und einen ganz anderen Mehrwert anzubieten. Das geht weit über Neuradverkäufe hinaus. Schließlich betrifft das genauso Menschen mit vorhandenen Fahrrädern. Wenn ich denen helfen kann, spricht sich das mit Sicherheit ziemlich schnell herum.
Wohin kann sich jemand wenden, der sich heute für das Bikefitting für E-Bikes interessiert?
Da würde ich aktuell wahrscheinlich das Internet befragen. Aber bitte die Treffer genau anschauen. Etwas heißt vielleicht Bikefitting, umfasst aber lediglich ein Bikesizing. Ein Bikefitting wird immer teurer sein. Schließlich widmet dir und deinem E-Bike jemand intensive zwei bis drei Stunden und verwendet moderne Messtechnik. Das gibt’s nicht für 79 Euro. Wir hatten vor kurzem unseren ersten Kurs. Also wird die Suche nach dem passenden Ort in Zukunft einfacher, denn die ersten sehr gut ausgebildeten Menschen sind demnächst in dem Markt unterwegs.
Was kostet ein professionelles Bikefitting?
Im sportlichen Bereich liegt ein ausführliches Bikefitting im Bereich von 250 bis 500 Euro. Im E-Bike-Bereich erwarte ich in Zukunft günstigere Fittings. Es gibt weniger am Rad umzubauen und die Kontaktstelle Sattel nimmt einen noch höheren Stellenwert ein. Eine sehr aufwendige Fußdruckmessung kann man sich in vielen Fällen vermutlich sparen, weil die Position und die Haltung vom Fuß auf dem Pedal sich viel häufiger ändern. Im Moment gibt es beide Fittings vielleicht zum selben Preis. Künftig läuft das wohl eher auf eine Summe von weniger als 250 Euro hinaus.
Haben Sie zum Abschluss noch einen Bikefitting-Tipp für zuhause?
Beginn mit den grundsätzlichen Sachen und beobachte, wie du dich tatsächlich fühlst und verhältst. Setz dich auf den Sattel, ohne dass die Hüfte seitlich kippt und stelle die Ferse in der untersten Pedalstellung auf das Pedal. Jetzt sollte das Knie fast durchgestreckt sein. Das ist ein guter Ansatz bei der Suche nach der passenden Sitzhöhe. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Während du auf dem Fahrrad bist, kann eine zweite Person das gern von der Seite bildlich festhalten. Ganz allgemein empfehlen wir immer in sich hineinzuhören. Empfinde ich die aktuelle Sitzposition als stabil? Mag ich gern so sitzen? Fühle ich mich insgesamt irgendwie gestaucht? Bin ich eher unruhig und suche immer wieder nach einer neuen Haltung? Letzteres wären sehr starke Hinweise darauf, dass die Einstellungen nicht passen.
Herr Sienkneckt, vielen Dank für das Gespräch!
Bilder: SnM gebioMized GmbH