Seit 2020 hinterlässt Mahle alle zwei Jahre ein dickes Kreuz im Kalender der Fahrradbranche. Oder besser gesagt ein großes X. 2020 mit dem X35. 2022 mit dem X20. Und 2024 folgt nun der X30 – das neueste E-Bike-System des Herstellers. Erneut basiert es auf einem Hinterradnabenmotor.
Gern wird in Bezug auf E-Bike-Antriebe über die Dominanz von Bosch auf dem Gebiet geklagt. Dabei geht meist unter, dass Mahle sich im Laufe der vergangenen vier, fünf Jahre eine ganz ähnliche Dominanz erarbeitet hat. Nur eben nicht im Bereich der Mittelmotoren, sondern bei den Motoren, die im Hinterrad verbaut sind. Mit exakten Statistiken können wir das nicht untermauern. Aber bringt ein Fahrradhersteller ein neues E-Bike mit einem Hinterradantrieb auf den Markt und greift dafür nicht auf das günstigste System zurück, habt ihr gute Chancen auf einen Volltreffer, wenn ihr bezogen auf den verbauten Motor einfach auf gut Glück auf Mahle tippt. Klar, die Konkurrenz wie Hyena, FSA oder auch Giant mit dem SyncDrive Move schläft nicht. An der Vormachtstellung von Mahle konnten sie bislang jedoch nicht kratzen.
Stattdessen steht zu vermuten, dass der Hersteller mit dem neuen X30 seine Position auf dem Markt eher noch festigt. Nach dem, was bisher vom E-Bike-System bekannt ist, scheint das sich dort einzuordnen, wo zuvor der X35 zum Einsatz kam. Nämlich an E-Bikes, die allein aufgrund ihres geringen Gewichts schon eine unterschwellige sportliche Note mitbringen und bei Preisen von rund 3.000 Euro starten. Inklusive einer absolut soliden Ausstattung, die bei City-E-Bikes zum Beispiel das komplette Paket mit Schutzblechen, Lichtanlage, Gepäckträger und Seitenständer umfasst. Das Stevens E-Strada 6.3.4. mit einem Preis von 3.299 Euro zeigt als eines der ersten E-Bikes, die bereits über einen X30-System verfügen, dass dies auch künftig möglich sein wird.
1. Der Motor des X30
2. Kompatibilität zwischen X30 und X20
3. Die Sensoren des X30
4. Die Akkus des X30
5. Das Ladegerät des X30
6. Bedieneinheiten und Display des X30
7. Potenzielle Einsatzszenarios des X30
1. Der Motor des X30
Herzstück des neues Systems ist der überarbeitete Motor. Laut Mahle bringt er ungefähr 1,9 Kilogramm auf die Waage und leistet im Dauerbetrieb die gewohnten 250 Watt. Bei der passenden Trittfrequenz könnt ihr daraus ein Drehmoment von 45 Newtonmeter generieren. Wobei dieser Wert gedanklich mit einem Sternchen versehen werden muss. Den ermittelt der Hersteller nämlich nach einer eigenen Formel und nutzt ihn als Äquivalent zum Leistungsvermögen von Mittelmotoren. Zum Vergleich: Beim X20 spricht Mahle gern von einem Drehmoment von 55 Newtonmetern. Dabei handelt es sich aber um einen solchen berechneten Wert. Das Drehmoment am Hinterrad beträgt gemessene 23 Newtonmeter. Gleiches Spiel beim X35: errechnete 40 Newtonmeter und gemessene 18 Newtonmeter. Demzufolge pendelt sich das gemessene Drehmoment des X30 wohl bei rund 20 Newtonmeter ein.
Geringere Leistung und höheres Gewicht im Vergleich zum X20 sprechen dafür, dass der X30 für die Fahrradhersteller günstiger zu beziehen ist und als Baustein verwendet wird, um den Gesamtpreis des jeweiligen E-Bikes auf einem niedrigeren Niveau zu belassen.
Kleiner Wermutstropfen
Fast noch wichtiger als das zuvor skizzierte Zahlenspiel ist die Tatsache, dass der X30-Motor leider auf den Connector verzichtet, der den Ausbau des Hinterrades beim X20 enorm erleichtert. Eine Automatic Motor Connection System genannte Verbindung ermöglicht dort das einfache Herausnehmen des Laufrades ohne zusätzliche Handgriffe und den Einsatz von Spezialwerkzeug. Es gibt einfach einen Kontakt, der durch das Aufsetzen des Rades in der richtigen Position geschlossen wird. Diese Lösung hätte dem X30 sicher auch gut zu Gesicht gestanden.
2. Kompatibilität zwischen X30 und X20
An anderer Stelle agiert Mahle dagegen ausgesprochen clever. Denn alle weiteren Komponenten des E-Bike-Systems stammen vom X20. Akkus, Bedieneinheiten, Display, Sensoren – all das hat sich seit längerem im Einsatz bewährt, ist sowohl den Fahrradherstellern als auch beim Service in den Werkstätten bekannt und senkt die Wahrscheinlichkeit für unerwartete Fehler auf ein Minimum.
3. Die Sensoren des X30
Zum Motor können Fahrradhersteller maximal zwei Sensoren hinzufügen. Standardmäßig verfügt auch der X30 über einen Pedal-Assist-Sensor, kurz PAS. Schaltet ihr das E-Bike-System ein, erfasst dieser Sensor die Bewegung der Kurbel und signalisiert so dem Antrieb, dass er jetzt mit seiner Unterstützung starten soll. Als Zusatz können die Fahrradhersteller zu einem Drehmoment-Sensor greifen. Dessen Daten speisen eine KI. Der Motor lernt euch und euren Fahrstil im Laufe der Zeit also immer besser kennen und passt sein Verhalten an eure Vorlieben und das jeweilige Terrain an.
4. Die Akkus des X30
Gleiche Komponenten bedeuten: gleiches Konzept. Die Akkus des X30 werden ebenfalls fest verbaut und lassen sich lediglich zur Servicezwecken von den Experten in der Werkstatt entnehmen. Ihre Bezeichnung hat Mahle leicht verändert. Aus dem iX250 wird der iX2. Dessen Kapazität beträgt unverändert 237 Wattstunden. Den iX350 findet ihr ab sofort unter dem Namen iX3. In ihm schlummern weiterhin 350 Wattstunden.
Der Namenswechsel schließt den Range Extender ein. Das heißt, aus dem e185 wird der eX1. Sein Energiespeicher umfasst genauso unveränderte 171 Wattstunden.
5. Das Ladegerät des X30
Zum Ladegerät findet sich in dem begleitenden Pressematerial keine Information. Das interpretieren wir als Zeichen dafür, dass sich der bereits bekannte Active Charger ebenfalls für den X30-Antrieb eignet. Aufgrund seiner Fähigkeit, unterschiedliche Ladeströme zu erzeugen, schafft es das Gerät, jeden der drei genannten Akkus unabhängig von dessen Kapazität innerhalb einer Stunde bereits auf einem Ladestand von 80 Prozent zu bringen. Dank seines Micro-USB-Anschlusses dient das Ladegerät zudem als Ausgangspunkt, um Updates für den X30 zu installieren.
6. Bedieneinheiten und Display des X30
Die Entscheidung für die Komponenten, die schon am X20 zum Einsatz kamen, hat den Charme, dass ihr auf schon gesammelte Erfahrungen zurückgreifen könnt. Zum Ein- und Ausschalten des Systems dient weiterhin eine im Oberrohr integrierte Bedieneinheit. Deren rudimentäre Funktionsweise mögen vielleicht nicht alle. Aber sie tut, was sie soll, sprich per Tastendruck die Unterstützungsstufe wechseln und euch über die LED den Ladestand des Akkus anzeigen. Ein Lichtsensor regelt ihre Helligkeit, sodass sie auch bei wechselnden Lichtverhältnissen recht gut zu erkennen ist. Viel gibt’s ja eh nicht zu sehen. 😉
Wer während der Fahrt gern mehr Informationen im Blick hat, kann sich das PulsarONE-Display zulegen. Erfahrungsgemäß verbauen das nur wenige Fahrradhersteller serienmäßig. Es zeigt euch auf seine sachlich nüchterne Art Angaben wie Geschwindigkeit, Uhrzeit, Ladezustand des Akkus, verbleibende Restreichweite, den gewählten Fahrmodus und die zurückgelegte Distanz. Über eine Ant+-Schnittstelle lassen sich zahlreiche Geräte mit dem Display koppeln.
Je nach dem, ob ihr ein E-Bike mit Flatbar oder mit einem Rennlenker fahrt, werden entweder die Duo Remote oder die eShifter als Bedieneinheiten montiert sein. Beide ermöglichen es euch, den Antrieb zu steuern und gleichzeitig beide Hände am Lenker belassen zu können.
7. Potenzielle Einsatzszenarios des X30
Aus Sicht von Mahle gibt es für das neue Antriebsystem nur wenige Grenzen. Der Hersteller rechnet damit, dass Marken den X30 für E-Bikes wählen, die mit einer geringeren Unterstützung auskommen und ein möglichst geringes Gesamtgewicht priorisieren. Das öffnet einerseits die Tür für Modelle, die auf einen urbanen Kontext ausgelegt sind. Auf der anderen Seite kommen sportliche E-Bikes wie E-Rennräder und E-Gravelbikes infrage, an denen sich die Fahrenden gar keinen Full-Power-Motor wünschen. Für E-Mountainbikes dürften Leistung und Drehmoment dagegen nicht genügen. Ausnahme könnten die Modelle für Kinder sein. Darauf deutet ein Exemplar von Husqvarna hin, das Mahle in der Pressemitteilung erwähnt, ohne den konkreten Namen zu verraten. Die anderen erwähnten Modelle wurden von den Herstellern bereits vorgestellt. Verteilt auf drei verschiedene Ausstattungen könnt ihr für das E-Rennrad Bianchi E-Oltre zwischen 4.999 Euro und 9.999 Euro ausgeben. Wesentlich günstiger zu haben sind die City-E-Bikes E-Strada 6.3.4 und E-Strada 7.3.4 von Stevens. Hier werden maximal 4.299 Euro fällig.
Zum Mahle X30 kompatible Komponenten
Bilder: Mahle Smartbike System; F.I.V. E. Bianchi S.p.A.; Stevens Vertriebs GmbH