Auf der Eurobike 2024 in Frankfurt zeigte auch der deutsche Fahrradhersteller Nicolai Bikes seine Neuheiten. Am Stand des Unternehmens aus dem niedersächsischen Mehle gab es aber auch eine Überraschung, die mit der Fahrradmarke direkt gar nichts zu tun hat. Und zwar präsentierte sich dort ein E-Bike-Antrieb namens Helius Drive. Das verspricht allein schon deshalb Spannung, weil es einem der innovativsten Geister der deutschen Fahrradbranche entsprungen ist. Was es sonst noch zum Helius Drive zu sagen gibt, erfahrt ihr in diesem Beitrag.
1. Wer hat Helius Drive gegründet?
2. Welche Antriebe versammeln sich unter der Marke Helius Drive?
3. Für welche E-Bikes eignet sich ein Antrieb von Helius Drive?
4. Was genau ist der Helius Wire Drive?
5. Welche Motoren könnten an E-Bikes zum Einsatz kommen?
6. Wie viele Akkus bietet der Helius Drive?
7. Welchen Status hat das Antriebssystem inzwischen erreicht?
8. Welche Anwendung könnte zuerst auf dem Markt erscheinen?
9. Welche Strategie verfolgt Universal Transmissions mit Helius Drive?
10. Wo werden die Antriebe von Helius Drive entstehen?
1. Wer hat Helius Drive gegründet?
Als Mastermind und treibende Kraft steckt niemand anderes als Karlheinz, genannt Kalle, Nicolai hinter Helius Drive. Viele von euch kennen ihn vielleicht als Chef bei Nicolai Bikes. Dort hat er mit etlichen gewagten Ansätzen beim Rahmenbau in den vergangenen 20 Jahren auch international mehrfach für Aufsehen gesorgt. Was weniger Leute wissen dürften: Nicolai führt gleichzeitig die Geschäfte von Universal Transmissions. Die Firma liefert Teile für die E-Bike-Antriebe von Bosch, vertreibt exklusiv den Gates-Carbonriemen in Europa und beschäftigt sich bereits seit 2006 mit alternativen Antriebskonzepten für Fahrräder. Helius Drive ist sozusagen das neuste Baby von Universal Transmissions und unternehmerisch von Nicolai Bikes völlig unabhängig.
2. Welche Antriebe versammeln sich unter der Marke Helius Drive?
Im Grunde entsteht bei Helius Drive ein einziger Antrieb und gleichzeitig ganz viele verschiedene. Der Hersteller fertigt einen kompletten elektrischen Antriebsstrang, der in unterschiedlichsten Light Electric Vehicles genutzt werden kann. Er basiert auf einem modularen Ansatz. Komponenten wir Motoren, Akkus, Displays, Inverter und weitere Teile lassen sich auf verschiedene Weise kombinieren und ergeben so letztendlich ganz individuellen Systeme. Eine besondere Rolle nimmt dabei der Wire Drive von Helius Drive ein. Bei diesem handelt es sich um keinen herkömmlichen primären mechanischen Antrieb. Stattdessen wird die beim Pedalieren erzeugte Energie in einen sensorgesteuerten Generator übertragen und von dort an das Hinterrad weitergeleitet. Das System verzichtet also auf eine Kraftübertragung mittels Kette oder Riemen.
3. Für welche E-Bikes eignet sich ein Antrieb von Helius Drive?
Tatsächlich macht Helius Drive einen Bogen um Pedelecs, deren elektrische Unterstützung auf eine Geschwindigkeit von 25 km/h beschränkt ist. Die Vorgabe für den Antrieb lautet: Pedalgetrieben, ein- oder zweispurig, Unterstützung mit mehr als 25 km/h, Nutzlast von mindestens 250 Kilogramm. Dabei müssen nicht alle Kriterien erfüllt sein. Auf Europa gemünzt entspricht das den Fahrzeugklassen von L1e bis L7e für leichte ein- und zweispurige Elektrofahrzeuge. Hinter der jeweiligen genauen Bezeichnung verbergen sich Details wie der maximale Hubraum des Motors und die maximale Geschwindigkeit. Einen Pkw-Führerschein braucht ihr zum Beispiel nur für die Klasse L7e.
Bezogen auf E-Bikes könnten also S-Pedelecs und größere, gern drei- oder vierrädrige E-Lastenfahrräder interessant werden. Elmar Keinecke, Marketing-Chef bei Universal Transmissions, nennt die Logistikbranche mit de Spezialisierung auf Last Mile Delivery als einen möglichen Markt für Kunden. Je nach Ausprägung empfiehlt sich der Antrieb aber auch für elektrische Mopeds, leichte elektrischer Roller sowie leichte Elektromotorräder fürs Gelände. Motorleistungen zwischen drei und zehn Kilowatt mit Straßenzulassung bis 40 km/h oder bis 45 km/h nennt er als relevante Kennziffern.
4. Was genau ist der Helius Wire Drive?
Wie bereits erwähnt, steht der Wire Drive im Zentrum der Antriebes wie sie an einem S-Pedelec und an einem E-Cargobike vorstellbar sind. Der HW-1 verfügt über ein elektronisches Getriebe und eine automatische Schaltung. Laut Elmar Keinecke erstreckt sich sein Übersetzungsbereich auf 1.000 Prozent. Zur Erinnerung: Bislang galt die Nabenschaltung 3X3 mit ihren 554 Prozent als das Maß der Dinge in dieser Hinsicht. Der Wirkungsgrad soll bei beachtlichen 94 Prozent liegen.
In erster Linie steuert Wire Drive den Antrieb durch das Pedalieren. In begrenztem Maße gewinnt der Wire Drive sogar Energie zurück. Allerdings reicht diese allein nicht aus, um damit ein S-Pedelec auf 45 km/h zu beschleunigen. Die Energie wird in das System eingespeist und kann zum Beispiel einen Notlauf absichern. Ausschlaggebend dafür seien die jeweiligen Fahrzeugparameter und die Leistungsfähigkeit der Fahrenden.
Mit seinem Verzicht auf Ritzel, Kette und Riemen erinnert der Helius Drive an Lösungen wie wir sie vom Mocci und dem Rover 45 kennen. Zumindest das Erstgenannte hat es inzwischen bereits zur Serienreife gebracht.
5. Welche Motoren könnten an E-Bikes zum Einsatz kommen?
In Bezug auf die Motoren liegen uns aktuell noch nicht allzu viele Informationen vor. Fest steht, dass bereits zwei Nabenmotoren fertig im Regal liegen, die Interessenten an passenden E-Bikes verbauen könnten. Zum einen handelt es sich dabei um den HM-1200-H. Diese Hinterradnabenmotor bewirbt der Hersteller als einen ultra-kompakten Motor, der sich für S-Pedelecs eignet. Sein Drehmoment wird lediglich mit „hoch“ angegeben. Konkreter Werte gibt Helius Drive zum Glück für die Leistung des HM-1200-H an. Diese soll im Dauerbetrieb bei 1.200 Watt liegen. In der Spitze kann der Wert auf 2.000 Watt ansteigen. Zudem wird ein Boost-Modus mit 3.000 Watt erwähnt.
Bei der Marke steigt der zweite Motor, der HM-3000-H, erst ein. Tatsächlich sollen die 3.000 Watt seine Dauernennleistung sein. Für kurze Zeitspannen sollen sogar 7.000 Watt und 8.000 Watt erreichbar sein. Im Inneren dieses Nabenmotors steckt ein eigenes Getriebe. Nach Angaben von Helius Drive soll dies abermals ein hohes Drehmoment erzeugen können.
6. Wie viele Akkus bietet der Helius Drive?
E-Fahrzeuge wie Mopeds oder große, zweispurige E-Lastenfahrräder benötigen wesentlich mehr Strom als ein Pedelec auf vergleichbarer Strecke. Daher verwundert es nicht, wenn der Akku von Helius Drive mit der Bezeichnung HB-36-2140-V auf der Webseite eher wie ein kleiner strahlungssicherer Container als ein E-Bike-Akku aussieht. Bei einer Betriebsspannung von 36 Volt bietet er aber auch massive 2.140 Wattstunden an Kapazität. Wie sich das auf der Waage niederschlägt, wollte uns Helius Drive übrigens nicht verraten. 😊
Dafür erhielten wir die Information, dass dieser Akku übertrieben gesagt schon wieder veraltet sei. In den vergangenen Monaten habe die Entwicklung große Fortschritte erzielt. Inzwischen sei man in der Lage, eine Zelltechnologie zu nutzen, die bisher in der Fahrradindustrie noch nicht verwendet worden sei. Gerade für S-Pedelecs würde sie große Vorteile bedeuten. Spätestens zur italienischen Fahrradmesse EICMA im November wolle man einen neuen Akku mit der Bezeichnung HB-44-1500 präsentieren.
Gefertigt werden die Akkuzellen in Asien. Universal Transmissions arbeite hier mit einem Partner zusammen der Weltmarktführer auf dem Gebiet der Zelltechnologie sei. Der eigentliche Akku als Kombination aus Zellen, Steuerung, Elektronik und Gehäuse entstehen dann in Europa.
7. Welchen Status hat das Antriebssystem inzwischen erreicht?
Ganz allgemein gesprochen befindet sich der Antrieb noch in der Entwicklungsphase. Das gilt mit Blick auf alle potentiellen Kombinationen des modularen Systems. Einzelne Varianten sind bereits in Fahrzeugen verbaut und werden getestet. In ein bis zwei Jahren möchte Helius Drive erste komplette Systeme liefern können.
8. Welche Anwendung könnte zuerst auf dem Markt erscheinen?
Nach eigener Aussage von Helius Drive stehen die Chancen am besten dafür, dass wir ein wie auch immer geartetes E-Cargobike mit einem solchen E-Antrieb zu sehen bekommen. Dieser Kundenbereich entwickle ich aktuell sehr dynamisch und habe großen Bedarf. Danach könnte ein auf Spaß fokussiertes Zweirad erscheinen.
9. Welche Strategie verfolgt Universal Transmissions mit Helius Drive?
Die Marke versteht sich als Zulieferer, der in enger Abstimmung mit Interessenten die nötige Kreativität und Flexibilität mitbringt, um ganz individuelle Ideen in die Tat umzusetzen. Elmar Keinecke umschriebt das Profil mit dem Begriff „Enabler“. Helius Drive möchte Fahrzeugdesignern zum Beispiel ermöglichen, sich auf das Fahrzeugdesign zu fokussieren. Man selbst übernehme alle Aufgaben rund um die eigentliche technische Entwicklung eines Antriebssystems und dessen Zertifizierung.
10. Wo werden die Antriebe von Helius Drive entstehen?
Nach eigenem Bekunden möchte der Hersteller den allergrößten Teil seiner Wertschöpfungskette in Europa realisieren. Innerhalb von Deutschland werden die Aufgaben derzeit auf drei Standorte verteilt. Im Raum Stuttgart/Karlsruhe sind Entwicklung und Testing angesiedelt. In Mehle am Standort von Nicolai Bicycles arbeitet ein Engineering-Team am Bau von Prototypen. Die Logistik wird wiederum von Thüringen aus gesteuert.
Bilder: Universal Transmissions GmbH