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E-Bike-Antrieb „Free Drive“: Kommt die Kette bald aus der Mode?

Generator des kettenlosen Free Drive-Antriebs von Schaeffler mit Kurbelgarnitur und Pedalen

Aktuell herrscht jede Menge Bewegung im E-Bike-Markt. Das zeigt sich unter anderem an der Vielzahl an verschiedenen neuen Antriebssystemen, die in den zurückliegenden zwei Jahren vorgestellt worden sind. Auf der diesjährigen Eurobike gab es vor wenigen Monaten in Friedrichshafen ein weiteres System zu sehen, bei dem die Kraftübertragung komplett ohne Fahrradkette oder Riemen auskommt.

Fahrradfahren ohne Kette? Kommt euch irgendwie bekannt vor? Richtig. Erst im vergangenen Monat haben wir über das Mocci von CIP Mobility berichtet, einer Lösung, die ebenfalls auf einen seriellen Hybridantrieb setzt. Genau diesen Ansatz verfolgt Free Drive, ein neues Antriebssystem entwickelt von Schaeffler und Heinzmann. Bei diesem Projekt arbeiten also eines von Deutschlands führenden Unternehmen aus dem Automotive-Bereich sowie ein namhafter Spezialist für Motoren und Getriebe zusammen. Entsprechend hoch dürfen die Erwartungen an das Ergebnis der Kooperation ausfallen.

Kompetenz hoch zwei

Die zwei Hersteller sind beileibe keine unbeschriebenen Blätter innerhalb der Fahrradbranche. Schaeffler brachte bereits 2016 die mechatronische Schaltautomatik „Velomatic“ heraus. Hersteller wie Raleigh und Kalkhoff bestückten damit eine Zeit lang ausgewählte Modelle ihrer E-Bikes. Einige davon fahren sicher noch auf unseren Straßen. Heinzmann wiederum zeichnet verantwortlich für mehrere Motoren für Pedelecs, auch im Bereich der E-Cargobikes.

Nun machen beide im Rahmen des Free Drive gemeinsame Sache. Dabei handelt es sich um ein so genanntes „Bike-by-Wire“-System. Der Antrieb funktioniert folglich gänzlich ohne einen klassischen Antriebsstrang mit Kette. Stattdessen treibt ihr mit dem Pedalieren einen Generator an. Dieser sorgt für einen gleichmäßigen Widerstand am Pedal und nimmt gleichzeitig eure Tretleistung auf. Das bedeutet nichts anderes, als dass er die beim Treten erzeugte mechanische Energie in elektrische Energie umwandelt. Diese überträgt ein Kabel an einen in der Hinterradnabe integrierten Motor. Dort erfolgt das erneute Rückumwandeln in mechanische Energie.

Generator des kettenlosen Free Drive-Antriebs von Schaeffler

Wie kompakt der Generator des Free Drive ist, beweist sein Q-Faktor von 138 Millimetern. Beide Pedale sind folglich so nahe beieinander, wie bei einem herkömmlichen Fahrrad

Größerer Kraftaufwand, größere Reichweite

Nach Aussage der Hersteller kann das System überschüssige Energie in einem Akku speichern. Dank der Rekuperation wird also alles, was ihr an zusätzlicher Kraft beim Treten investiert zusammen mit der Energie aus dem Bremsvorgang und dem Fahren bergab, zurückgeführt und verlängert die Reichweite des Fahrzeugs. Soll niemand sagen, dass sich Anstrengungen nicht lohnen würde.

Auf dem vorliegenden Bildmaterial wird deutlich, dass zumindest der Generator ziemlich kompakt ausfällt. Das sollte die künftige Integration in Fahrräder erleichtern. Im Moment schwebt der Free Drive noch ein wenig im luftleeren Raum. Heißt übersetzt, es gibt den Antrieb, aber noch kein damit ausgestattetes Bike. Zumindest keines, das unmittelbar vor dem Start in die Serienproduktion steht.

Zwei, drei oder vier Räder?

Im September waren Schaeffler und Heinzmann mit einem Prototyp auf der Eurobike vor Ort. Interessenten konnten ein dreirädriges Lastenrad namens „Bring“ des bayerischen Herstellers Bayk für ein paar Runden auf dem Parcours testen. Das Beispiel gibt durchaus einen Vorgeschmack darauf, an welche möglichen Anwendungen Schaeffler und Heinzmann selbst denken. Ihrer Einschätzung nach eignet sich das Antriebssystem insbesondere für mehrspurige Lastenfahrräder sowie Fahrzeuge im Reha-Bereich. Aufgrund der Robustheit und des geringen Wartungsaufwandes liegen zudem Gedankenspiele nahe, die sich um einen Einstieg in den Bikesharing-Markt drehen. Dann vermutlich aber doch eher als einspurige Variante.

E-Lastenrad "Bring" von Bayk mit kettenlosem Free Drive-Antrieb von Schaeffler

Fahrradhersteller Bay ist mit seinem E-Lastenrad „Bring“ der dritte süddeutsche Partner im Bunde.

Heiße Testphase angelaufen

Auf Nachfrage bestätigt Schaeffler, dass man den Aufbau kompletter Fahr- oder Lastenräder anderen überlassen wolle. Der eigene Fokus liege klar auf dem eigentlichen Antriebssystem. Ausgewählte Kunden erhielten jetzt einige Muster des Free Drive, um damit Demonstratoren und Pilotfahrzeuge auszustatten. Bis Mitte 2022 sollen die daraus erwachsenen Erkenntnisse in die Finalisierung des Produktes einfließen. Bis zum Erreichen des Serienstandes kann sich anscheinend an dem einen oder anderen Detail etwas ändern.

Nach den Worten von Schaeffler gäbe es „eine große Liste an Interessenten“. Mit denen befindet sich das Unternehmen zusammen mit Heinzmann in konkreten Gesprächen. Bereits für das kommende Jahr planen wohl einige der Kunden einen Produktionsstart.

Mal sehen, wann es dazu genauere Aussagen gibt und vor allem von wem! Am Beispiel Free Drive zeigt sich auf alle Fälle, wie Technik unterschiedlicher Fahrzeuge, hier Automobil und Fahrrad, zur Entwicklung moderner Mobilitätslösungen zusammentreffen. „Für die effektive Umsetzung solch neuer Mobilitätskonzepte sind mechatronische Technologien auf Komponenten- und Systemebene erforderlich. Unser jahrzehntelanges Know-how im Bereich der Fahrzeugmechatronik half uns bei der Entwicklung des Free Drive durch Übertragung auf das Zweiradsegment“, bekräftigt Daniel Pokorny, Leiter Kommunikation Technologie, Innovation & Digitalisierung bei Schaeffler.

 

Bilder: Schaeffler Technologies AG & Co. KG

9 Gedanken zu „E-Bike-Antrieb „Free Drive“: Kommt die Kette bald aus der Mode?“

  1. Bereits 2014 hat eine südkoreanische Firma Mando ein kettenloses Fahrrad mit dem Namen „Mando Footloose“ auf den Markt gebracht. Damals sensationell aber bei der Zulassung für den Strassenverkehr an den deutschen Behörden gescheitert.
    Schade eigentlich.

    1. Hallo Lothar Wolf,

      das mit der Zulassung ist heute bereits vom Tisch. Die Dinger sind zugelassen, wie man mir mitgeteilt hat. Also sowas geht auch im superbürokratischen und komplizierten Deutschland.

      Generell – auch wenn (vielleicht?) der Eta bei so einem System schlechter ist, überwiegen doch die Vorteile. Ich werde mir gerne ein Rad zulegen, was mit so einem modernen System ausgestattet ist. Ein normales Pedelec z.B., am besten mit Fat Reifen. Soll halt nur nicht so irre teuer sein.

      Bin gespannt, was da auf dem Markt kommen wird. Bis jetzt (04-2024) gibt es wohl so gut wie nichts davon in Serie. Alles nur Prototypen.

      VG, Jürgen B.

  2. Laut Straßenverkehrsordnung dürfen Fahrräder bis 4 m lang und bis 2 m breit sein. Dies ist noch ein Relikt aus der Zeit, als es kaum Autos, aber viele Lastenräder und Mehrpersonenräder gab. Das hat man halt vergessen. 1 m Breite ist für Cargobikes ein gutes Maß und meistens radwegverträglich. Aber natürlich muss die Infrastruktur nachziehen und manch inakzeptabel schmaler Radweg muss verbreitert werden.
    Entscheidend ist doch, dass mit solchen Fahrzeugen, Kraftfahrzeugverkehr auf sehr energieeffiziente Weise ersetzt werden kann und das ist die große Aufgabe, an der sich alles ausrichten muss.

  3. Spätestens jetzt stellt sich die Frage, ob man noch von einem Fahrrad sprechen kann oder dies nur ein Elektrofahrzeug auf 2 Rädern mit Pedalen.
    Und dann sind wir schnell im Pereich von Zulassungsverfahren für Mofa.
    Der Gesetzgeber wird früher oder später handeln müssen.
    Wenn ich das Bild sehe, so sind auch übliche Radwege für diese Dimensionen eines Fahrzeuges nicht ausgelegt. Üblicherweise sid Radwege so breit, dass 2 Räder sich problemlos überholen können. Hier ist dies nicht möglich bzw. würde dieses Fahrzeug auf der Straße fahren, kann auch ein Auto, geschweige LKW dieses Rad nicht zügig überholen, wenn gesetzliche Abstände beim Überholen beachtet werden.
    Fazit: Geschwindigkeit und Pedale können nicht mehr das alleinige Kriterium für ein Fahrrad sein.

    1. Das kann man auch anders sehen. Die Radfahrinfrastruktur muss an 85 bis 100 cm breite Fahrzeuge angepasst werden. Bis auf die bekannten „Schikanen“ geht das auch heute bereits, da man mit 85 cm breiten Anhängern problemlos auf der heute noch recht traurigen Infrastruktur fahren kann (habe 40000 km Erfahrung). Ein normales Fahrrad ist auch am Lenker häufig 70 cm breit und benötigt beim Fahren durch die erforderliche Lenkdynamik mindestens 1m Breite des Radwegs. Mehrspurfahrzeuge, wie podbike (www.podbike.com) etc. benötigen diesen Ausgleichsraum (Schlangenlinie) nicht.

      Zu dem Seriell Hybrid Antrieb von Schaeffler oben:
      Wie bei allen bisherigen Ansätzen dieser Art wird häufig vergessen, dass ein normaler Parallelhybrid Antrieb eines Pedelecs eine Redundanz aufweist. Das heißt, dass bei Ausfall des elektrischen Antriebs der mechanische Antriebsstrang es ermöglicht, das Fahrzeug weiter nach Hause zu bewegen.
      In dem Fall eines seriellen Hybrids gibt es viele sogenannte „Single point of failures“, die bei einem Ausfall das Fahrzeug völlig nutzlos werden lassen und man nach Hause schieben muss.
      Ein sinnvolles Konzept wird somit daraus erst, wenn hinter dem Pedalgenerator alles redundant aufgebaut wird. Also mindestens 2 Nabenmotoren an mindestens 2 Rädern, dann 2 redundante Gleichrichter, redundante Stromsensoren, redundante Controller, intern redundantes Display mit entsprechenden Bedienelementen, und auch möglichst 2 Batterien. Der Pedalgenerator sollte mit hoher Zuverlässigkeit realisiert werden können und wäre bei konsequent redundantem Design der einzige verbleibende „Single Point of failure“. Da man die mechanische Schaltung (z. B. Rohloff) spart, kann das Ganze trotzdem bezahlbar bleiben bei höheren Stückzahlen.

      1. Der Gesichtspunkt der funktionalen Redundanz wird in der Tat praktisch immer vernachlässigt, aber es gibt noch weitere, die ich hoffentlich alle in meinem e-motion Velo – Ansatz berücksichtigt habe.

      2. Guten Tag Herr Dr. Hoppe!

        Natürlich haben Sie uneingeschränkt recht damit, dass bei einem so „modernen“ System auch Ausfällen auftreten können, die dann zum „schieben“ führen. Es ist – wie Sie selbst schon aufgeführt haben – sehr aufwändig (und teuer) alles zur berücksichtigen, was Ausfälle minimiert…

        …aber;

        Darf das ein Kriterium sein? Ich denke nicht. Der Preis ist entscheidend. Und andere Geräte (PKWs z.B.) können aus ausfallen. Da kann man auch nicht treten. Es muss auch abgeschleppt werden.

        Ich wünsche allen hier ein wunderbares Wochenende, und demnächst viel Sonne.

        VG, Jürgen B.

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