Beinahe schon feste Instanz des Beginns eines jeden Fahrradjahres ist die Vergabe der Design & Innovation Awards (DIA) geworden. Mit der inzwischen neunten Ausgabe ändern die Initiatoren etwas ihre Herangehensweise. Sie entschlacken die Klaviatur der gängigen Fahrradtypen und teilen die Preisträger nicht länger in gleichlautende Kategorien ein. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass die Menschen sich seit jeher wenig um die Begrifflichkeiten der Industrie gekümmert haben. Stattdessen haben sie sich auf ihre Fahrräder gesetzt und diese für mehr Zwecke genutzt, als sie laut Katalog ausgelegt waren. Das ist ganz im Sinne des Design & Innovation Award.
1. Design & Innovation Award: E-Bikes in der Kategorie „Urban“
2. Design & Innovation Award: E-Bikes in der Kategorie „E-Mountainbike“
3. Hintergrund zum Design & Innovation Award
Für 2022 sind die begutachteten Bikes in folgende Kategorien eingeteilt:
- Mountainbikes
- E-Mountainbikes
- Urban
- Rennräder
- Gravelbikes
Die Kategorien Urban, Rennräder und Gravelbikes sind prinzipiell offen für Fahrräder mit und ohne elektrische Unterstützung. Tatsächlich finden sich in diesem Jahr jedoch nur unter den urbanen Fahrrädern noch weitere mit einem E-Antrieb. Immerhin 14 von insgesamt 27 ausgezeichneten Modellen verfügen über eine elektrische Unterstützung.
1. Design & Innovation Award: E-Bikes in der Kategorie „Urban“
Mit Abstand die vielfältigste der Kategorien ist die „Urban“. In ihr wird ganz klar der Versuch der Juroren erkennbar, das reale Bild dessen abzubilden, was uns heutzutage auf der Straße begegnet. Und das geht eben längst weit über Citybikes hinaus.
Vorbildlicher Stoffkreislauf
Mit dem Advanced Reco One ist lediglich ein klassischer Tiefeinsteiger vertreten. Der verdient sich seinen Award tatsächlich weniger mit seinem Äußeren. Die Initiatoren des Preises beeindruckt vielmehr das für den Fahrradrahmen verwendete Material. Es handelt sich um einen kohlefaserverstärkten Verbundwerkstoff in Form eines Granulats. Hersteller Advanced hat so viel Vertrauen in sein Herstellungsverfahren, das er eine 30-jährige Garantie für den Rahmen ausspricht. Und ermüdet das Material danach tatsächlich, lässt es sich zurück in ein Granulat verwandeln und steht als Rohstoff für einen neuen Rahmen bereit. Dieses Verfahren ist der gängigen Fertigung eines Fahrradrahmens aus Aluminium in Sachen Umweltverträglichkeit deutlich überlegen, da es nur einen Bruchteil der CO2-Emmissionen erzeugt, die bei der erstgenannten Variante anfallen.
Trendsetter Lastenrad
Ansonsten ist die Kategorie „Urban“ das vielzitierte Spiegelbild der Trends. Gleich vier Lastenräder haben einen Preis erhalten. Jedes einzelne davon sticht mit mindestens einem Detail aus der Masse der anderen Neuerscheinungen der vergangenen Saison heraus. Beim Ca Go FS 200 ist es zum Beispiel die aus expandiertem Polypropylen gefertigte Cargobox, beim Concept Dynamic Cargo von Cube sind es die Neigetechnik der Hinterradachse und das integrierte Differenzialgetriebe, beim vollgefederten Kettler Cargoline FS 800 die Lenkung der Vorderradnabe und beim Multicharger Mixte GT vario 750 aus dem Hause Riese & Müller das unglaublich umfangreiche Ausstattungspaket. Zwei Longjohns, ein Longtail und ein E-Cargobike mit drei Rädern – auch hier zeigt sich die Diversität des aktuellen Angebots der Fahrradbranche.
Voll im Trend sind ebenfalls Mountainbikes, die aufgrund ihrer Ausstattung mit Schutzblechen, Gepäckträgern und Lichtanlagen eine Vielseitigkeit an den Tag legen, an die vermutlich kaum jemand gedacht hat, als dieser Fahrradtypus seinen weltweiten Siegeszug antrat. Stellvertretend für eine ganze Gattung erhielt das Thömus Longrider E2 Men City Kit jetzt eine der Auszeichnungen. Auch wenn die fehlenden Federelemente und Stollenreifen es nicht zu einem SUV-E-Bike machen, so verrät die Geometrie doch unmissverständlich, wo dieses Bike seine Wurzeln hat.
Hybride Sonderlinge
Ähnlich wie das Thömus entziehen sich auch die anderen beiden urbanen Preisträger der Einteilung in althergebrachte Schemata. Mit dem Qio Eins hat der der Hersteller Hartje an vielen Stellen für reichlich Aufmerksamkeit eingeheimst. Den Design & Innovation Award 2022 erhält mit dem P5 das Modell der Serie, das auf den ersten Blick vielleicht sogar hinter denen mit einer noch hochwertigeren Ausstattung etwas zurückbleibt. Dafür macht ihm in Sachen Belastbarkeit und Standfestigkeit so schnell kein anderes E-Bike etwas vor. Die zugebenermaßen einfache 5-Gang-Nabenschaltung von Shimano bietet zwar kein wahnsinnig großes Spektrum, ist jedoch als einzige Nabe des Weltmarktführers uneingeschränkt selbst für den Einsatz an E-Lastenrädern freigeben. Zusammen mit dem robusten und gleichzeitig kompakten Rahmen sowie den 20 Zoll großen Laufrädern entsteht so ein Pedelec, das sowohl auf dem Campingplatz als auch als vollwertiges Alltagsrad eine bemerkenswerte Figur abgibt.
Ziemlich klobig kommt der nächste Hybrid daher. Außerordentlich massives Unterrohr und Sitzrohr. Eine Kettenstrebe mit der gefühlten Eleganz einer Bahnschranke. Optisch ist das mit Sicherheit gewöhnungsbedürftig. Hinter dem massiveren Äußeren steckt allerdings so manch einfallsreicher technischer Kniff. Und genau das ist der Grund, warum die Jury das Vaast E/1 prämiert hat. Im Rahmen versteckt sich ein komplettes Feder- und Dämpfungssystem, bei dem eher das Sitzrohr statt wirklich der Hinterbau nachgibt. Bei den Testfahrten zum Design & Innovation Award 2022 soll sich ein „noch nie dagewesenes Gefühl von Fahrkomfort“ eingestellt haben. Feststeht zumindest, dass selten ein E-Bike zuvor derart viele klassische Merkmale von Trekking-, City- und Mountainbike in sich vereinte.
2. Design & Innovation Award: E-Bikes in der Kategorie „E-Mountainbike“
Gefühlte und echte Neuheiten
Bei den E-Mountainbikes trifft man dagegen auf vieles Bekanntes. Sehr gute Lösungen, aber keine wirklichen Neuheiten. Was damit gemeint ist, symbolisiert sehr gut das Flyer Uproc X 9.50. Das ist ein Klasse E-MTB, technisch ausgereift, mit einem hervorragenden Fahrwerk und einem enorm leistungsfähigen E-Antrieb. Dennoch hätte solch ein E-Bike auch bereits vor zwei oder drei Jahren unter den Preisträgern auftauchen können, wenn auch mit leicht geänderten Werten in Bezug auf Motor und Akku.
Ganz ohne Spannung geht es allerdings auch in dieser Kategorie nicht zu. So stehen sich mit dem Rocky Mountain Altitude Powerplay Carbon 70 und dem Specialized S-Works Kenevo SL zwei verschiedene Strömungen unter den Mountainbikes gegenüber. Während das Rocky Mountain die Muskeln spielen lässt und mit 108 Newtonmetern an Drehmoment sowie einer Akkukapazität von 1.034 Wattstunden mit optionalem Overtimepack mächtig Eindruck, das Bike sein möchte, das für euch alles möglich macht, gibt sich das Specialized S-Works Kenevo SL wesentlich bescheidener. Die Kapazität von 320 Wattstunden erscheint fast lächerlich im Vergleich. Dafür bringt es mit 18,7 Kilogramm an Gewicht ein Argument ins Spiel, bei dem Altitude und Co. dennoch die Puste ausgeht.
Für einige von euch vielleicht auch ganz interessant könnte das Scor 4060 Z sein. Die Marke wird oftmals noch als Newcomer angekündigt. Ist sie auch. Dahinter steht jedoch mit BMC ein alter Bekannter.
3. Hintergrund zum Design & Innovation Award
Grundlegender Unterschied zwischen dem Design & Innovation Award und anderen einschlägigen Preisen ist die Tatsache, dass beim DIA die Fahrräder von den unmittelbar Beteiligten aus erster Hand getestet werden. Kein bloßes Nachmessen und Begutachten. Ingenieure, Testfahrer und Journalisten nehmen sich dafür zwei Wochen Zeit. Danach berät das 30 Köpfe umfassende internationale Team über die Vergabe der Preise.
Bilder: Design & Innovation Award