Vermutlich merken viele von euch beim Gang in den Fahrradladen oder der Online-Bestellung, dass die Fahrradbranche immer noch mit Lieferschwierigkeiten für unterschiedlichste Teile kämpft. Auch für die Hersteller ist die Situation nur schwer kalkulierbar. Das führt mitunter merkwürdig erscheinenden Entscheidungen. So hat bereits heute der taiwanesische Hersteller Tern ein neues Kompakt-E-Bike vorgestellt, obwohl es vielleicht erst im März kommenden Jahres zu haben sein wird.
Mit seinen elektrisch unterstützten Falt- und Lastenrädern hat sich die Firma in den vergangenen Jahren weltweit einen exzellenten Ruf erarbeitet. Zu den Verkaufsschlagern wie dem Faltrad Vektron sowie den Lastenrädern GSD und HSD kamen sukzessive Modelle hinzu, die sich irgendwo zwischen diesen E-Bike-Typen einordneten. Jüngstes Beispiel dafür war das Quick Haul.
Alles andere als gewöhnlich
In genau diese Kategorie fällt auch das neue Tern NBD. An ihm findet sich zahlreiche Details, die ihr in dieser oder ähnlicher Form bereits von anderen Bikes des Herstellers kennt. Es hat die robuste Aufnahme für einen massiven Frontgepäckträger wie ein Lastenrad. Sein Lenker lässt sich abklappen wie bei einem Faltrad. Und kompakter als die 163 Zentimeter in der Länge kann ein Fahrrad für Erwachsene kaum ausfallen.
Klingt nach einem bunten Mix und dem nächsten Fahrrad, das vieles will, aber keine der Erwartungen ernsthaft erfüllen kann? Könnte man meinen. Hier liegt der Fall jedoch anders. Tern verfolgt mit dem NBD einen klaren Plan, der sich an Menschen richtet, die häufig von der Fahrradindustrie vernachlässigt werden. Genau wie von anderen Industrien. Gemeint sind Personen mit einer Körpergröße, die unter dem liegt, was üblicherweise als Durchschnitt erachtet wird. Diesen Menschen möchte Tern den Einstieg oder den Wiedereinstieg ins Fahrradfahren erleichtern. Für sie soll das NBD eine kleine Zeitenwende einläuten. Daher auch sein Name, der ein Akronym für „New Bike Day“ ist.
Mehr Chancengleichheit
Das neue Modell soll sich für Menschen eignen, die zwischen 1,47 Meter und 1,90 Meter messen. Für diejenigen, die im unteren Bereich dieses Spektrums liegen, beginnen die Schwierigkeiten beim Fahrradfahren oftmals schon vor dem eigentlichen Fahren. Allein das Aufsteigen kann sich für sie als unüberwindbares Hindernis herausstellen. Daher hat Tern den Einstieg in das Fahrrad besonders tief ausgelegt. Exakt 39 Zentimeter ist der tiefste Punkt des geschwungenen Rahmens vom Boden entfernt. Zum Vergleich: Bei den ebenfalls eher kleineren Modellen Quick Haul und HSD sind es zehn Zentimeter mehr.
Um dieses Maß an Komfort zu gewährleisten, wurde das Tretlager weit abgesenkt. Auch der Motor ist entsprechend tief positioniert. Neben Personen mit geringerer Körperlänge kommt dies Fahrradfahrenden entgegen, deren Knie- oder Hüftgelenke weniger beweglich sind.
Individuell abstimmen und bequemer fahren
Eine Folge dieser Rahmenkonstruktion ist der weit nach unten gelangende Schwerpunkt. Die lediglich 20 Zoll großen Laufräder haben ebenfalls einen Anteil daran. Beides kompensiert die am NBD etwas höhere Position des Akkus. In der Summe sollte sich das Bike im Alltag gut beherrschen lassen und ein ausgewogenes Fahrgefühl vermitteln. Erst recht, da ein verlängerter Radstand für die nötige Laufruhe sorgt.
Für die Abstimmung auf dem Bike selbst erweist sich der von Tern patentierte Andros-Vorbau als großer Vorteil. Dank ihm lässt sich ganz individuell einstellen, wie hoch der Lenker sein soll, in welchem Winkel und wie weit genau von Sattel entfernt. Die Sattelhöhe wiederum könnt mit der Fernbedienung der höhenverstellbaren Sattelstütze vom Lenker aus bestimmen.
Flexibel im Alltag
Der Gebrauch als Lastenfahrrad spielt beim NBD nur eine untergeordnete Rolle. Darauf verweist bereits das 140 Kilogramm begrenzte maximale Gesamtgewicht des Modells. Nichtsdestotrotz bietet es Optionen, die vielen Menschen im privaten Fahrradalltag vollauf genügen. So passt auf den hinteren Gepäckträger zum Beispiel bequem ein Kindersitz. Damit ist er dann aber auch komplett ausgelastet. Aufnehmen darf der Träger namens Gaia eine Last von maximal 27 Kilogramm. Sowohl das Quick Haul als auch das HSD liegen mit ihren 50 Kilogramm beziehungsweise 60 deutlich darüber. Entscheidet ihr euch für einen optionale Frontgepäckträger, kommen weitere 20 Kilogramm hinzu, die ihr transportieren könnt.
Zwei Modelle zur Auswahl
Wenn es dann im ersten Quartal 2023 soweit ist, wird das Tern NBD in zwei Ausstattungen angeboten. Beide unterscheiden sich ausschließlich hinsichtlich des Antriebs und der Akkus. Das Tern NBD S5i hat mit dem Bosch Performance Line einen Motor mit einem Drehmoment von 65 Newtonmetern, während es beim Bosch Active Line Plus am Tern NBD P8i nur 50 Newtonmeter sind. Den etwas schwächeren Motor gleicht das P8i mit einer Nabenschaltung aus, die eine größere Bandbreite und eine feinere Abstimmung der jeweiligen Gänge bietet. Hier stehen die 306 Prozent und acht Gänge der Shimano Nexus 8 den 207 Prozent und fünf Gängen der Shimano Nexus Inter 5-e gegenüber.
Auf den ersten Blick hat das Tern NBD S5i durch seinen Bosch PowerPack 500 in Sachen Akkuleistung die Nase gegenüber dem Tern NBD P8i und dessen Bosch PowerPack 400 vorn. Defacto sollte sich die Differenz von 100 Wattstunden in der Praxis sich weniger deutlich zeigen, als manche von euch vielleicht annehmen. Erstens verbraucht der kleinere Motor etwas weniger Strom. Zweitens kann ein reges Benutzen der besseren Schaltung zu mehr Effizienz führen. Von daher dürften die Reichweiten der Bikes am Ende recht nahe beieinander liegen. Je nach Voraussetzung scheinen zwischen 50 Kilometer und 110 Kilometer durchaus realistisch.
Gut, aber auch passend?
Kosten soll ein Tern NBD ab 3.999 Euro. An der Stelle solltet ihr euch dann fragen, ob das NBD auch wirklich ein lohnendes Bike für euch ist. Wenn ihr zur von Tern anvisierten Zielgruppe eher kleinerer Menschen gehört oder aus anderen Gründen schon immer ein Bike mit einem solch niedrigen Einstieg fahren wolltet, dann erübrigt sich die Frage. Wer jedoch in Richtung 1,60 Meter, 1,70 Meter oder höher tendiert, der dürfte auf einem Quick Haul oder einem HSD besser sitzen. Deren Rahmengeometrie ist besser auf die Oberkörperlänge dieser Menschen ausgelegt. Sie werden weniger gedrungen, weniger aufrecht auf dem Fahrrad sitzen. Zudem sind beide Modelle nur unwesentlich länger als das NBD und erlauben eine merklich höhere Zuladung. Nicht zuletzt liegt der Einstiegspreis des Quick Haul um ganze 1.000 Euro niedriger. Scheint ganz so, als ob die größte Konkurrenz für Tern Tern selbst sein könnte.
Tern NBD 2022 im Überblick
- Varianten: NBD S5i, NBD P8i
- Rahmen: Tern NBD, 6061-AL
- Gabel: Tern Tarsus, 6061-AL
- Motor: Bosch Performance Line, Bosch Active Line Plus
- Akku: Bosch PowerPack 500, Bosch PowerPack 400
- Display: Bosch Intuvia
- Antrieb: Shimano Nexus 8, Shimano Nexus Inter-5e
- Bremsen: Magura MT4, Shimano
- Gewicht: 23,4 kg (S5i) und 23,7 kg (P8i)
- Maximal zulässiges Gesamtgewicht: 140 kg
- Preise: ab 3.999 Euro
Bilder: Mobility Holdings, Ltd.