Jetzt ist das halbe Dutzend voll. Was vor etlichen Jahren mit dem allerersten Load begann, umfasst im Sortiment von Riese & Müller inzwischen sechs E-Lastenfahrräder. Der jüngste Vertreter hört auf den Namen Carrie und ist ein kompaktes Longjohn. Sein Aussehen könnte euch bekannt vorkommen.
Im Carrie sieht Riese & Müller selbst den Einstieg „in die Welt der Cargo-Bikes“. Siehste, und wir dachten, diese Rolle würden bereits das günstigere Mulitcharger2 oder das ebenfalls günstigere und kleinere Multitinker übernehmen. Aber gut, Selbstbild und Fremdbild können ja gern einmal voneinander abweichen. Nichtsdestotrotz beeindruckt das Carrie mit seiner geringen Länge, einem flexiblen und ausgesprochen vielseitigen Aufbau sowie jeder Menge praktischem Zubehör.
Zwei Boxen ergeben gemeinsame Cargobox
Hervorsticht der Neuling jedoch durch ein spezielles Extra. Gemeint ist die Flex Box. Dahinter verbirgt sich eine Art Flügeltür als Überdachung für den Ladebereich. Wie beim Longjohn üblich, findet der Großteil des Transportguts ja im dem abgesenkten Bereich zwischen Lenker und Vorderrad Platz. Wahlweise ist dieser als ebene Fläche mit einer umgrenzenden, meist niedrigen Reling oder als kleiner Container konzipiert. Riese & Müller verfolgt letzteren Ansatz. In der Basisversion des Carrie nimmt folglich ein Basis Box genannter Behälter die entsprechende Ladung auf.
Nach oben hin ist die Basis Box offen. So könnt ihr Dinge einfach hineintun und herausholen. Allerdings wird das, was ihr darin befördert, bei Regen auch schnell nass oder droht vielleicht beim Fahren über holprige Straßen herauszufallen. Deshalb hat der Hersteller für die Konstruktion einen optionalen Überbau ersonnen. Mithilfe von Scharnieren lässt sich dieser am Rahmen des Lastenfahrrades verschrauben. Zusammengeklappt formt die Flex Box ein Dach über der Basic Box. Aufgeklappt erhöht und verbreitert sie den Laderaum.
Kopiert oder neu interpretiert?
Spätestens an der Stelle stutzen womöglich ein paar von euch. Kompaktes Longjohn mit einem Ladebereich, der sich zusammen- und auseinanderklappen lässt. Kenne ich das nicht von irgendwoher? Ja, das tut ihr. Mit einem auffallend ähnlichen Konzept ist Muli Cycles seit 2016 unterwegs. Keineswegs identisch. Aber doch so nahe dran, dass Riese & Müller einen Teil der Reaktionen auf seine Neuheit garantiert vorausgeahnt haben werden. Einfach uninspiriert kopiert lautet noch die wohlformulierte Version der Meinung, die manche User unter Videos und Bildern des neuen Carrie hinterlassen haben. Der Hersteller wird sich vorher gut überlegt haben, was dafürspricht, eine Idee wie die des Muli weiterzuspinnen. Das Aushalten von Kritik kam beim Fällen dieser Entscheidung sicher mal zur Sprache.
Was Muli Cycles selbst vom Carrie hält, wissen wir nicht. Vielleicht nimmt das Unternehmen es als Kompliment, als gewissen Ritterschlag für das eigene Fahrrad auf. Wenn jemand mit dem Renommee von Riese & Müller sich bei einem selbst Inspiration holt, muss man schließlich manches überzeugend gelöst haben.
Mehr Stauraum durch zusätzliche Flex Box
Als neutraler Betrachter können wir beiden Umsetzungen viel Gutes abgewinnen. So dient die an eine kleine Wanne erinnernde Basis Box als praktisches Auffangbecken für kleinere und größere Utensilien, die ihr mit einem solchen E-Bike transportieren könnt. Mit den Innenmaßen von 30 Zentimeter in der Breite und 45 Zentimeter in der Länge fällt sie groß genug aus, um eine kleine Eurobox aufzunehmen. Zum Beispiel könntet ihr eure Einkäufe in eine entsprechend große Klappbox tun, in das Carrie stellen und zuhause angekommen so bequem ausladen. Riese & Müller bietet eine Cargo-Tasche mit Tragegurten an, die sogar 90 Liter fasst und auf gleiche Weise zusammen mit der Basis Box genutzt werden kann. Selbst das feste Verbinden mit der Box ist möglich.
Wollte ihr mehr als diese eine kleine Eurobox transportieren, könntet ihr zur Flex Box greifen. Im geöffneten Zustand misst diese rund 65 Zentimeter in der Breite. In der Länge bleibt es bei den rund 45 Zentimetern. Klappt ihr die Flex Box auf, passt die erwähnte kleine Eurobox nach unten und darauf eine große Eurobox mit der Grundfläche von 60 Zentimeter mal 40 Zentimeter. Mit dem „Öffnen des Daches“ vergrößert sich gleichzeitig der Platz, den das Carrie auf der Straße beansprucht. Es ragt dann links und rechts nicht ganz zwei Zentimeter über den Lenker hinaus. Das solltet ihr beim Fahren im Hinterkopf behalten. Da die Ladefläche vor euch am Fahrrad positioniert ist, habt ihr das alles aber auch stets im Blick.
Dank des expandiertem Polypropylen, aus dem die Flex Box besteht, sind die Gegenstände im Inneren der Box gut geschützt. Da gibt es keine Kratzer und nichts schlägt hart gegen Metall an. Zudem lässt sich die Box abschließen. Sollte sie irgendwann ihren Dienst getan haben und ersetzt werden müssen, kann sich vollständig recycelt werden.
Zahlreiche Lösungen für das Befördern von Kindern
Wollt ihr vorn im Ladebereich Kinder mitnehmen, setzt dies zwingend den Kauf der Flex Box voraus. Riese & Müller bietet dafür eine mit Klettverschlüssen montierbare Sitzfläche an. Diese ist breit genug für ein größeres oder zwei kleinere Kinder. Dank dazugehöriger Gurte sitzen die Kinder in der Box verhältnismäßig sicher. Wer möchte, kann den Komfort für die Insassen durch eine Kopfstütze erhöhen. Sie ist als eine Rückwand konzipiert und schützt so zusätzlich die Rückenpartie der Kinder. Beachtet jedoch, dass ihr mit eingebauter Kopfstütze die Flex Box nicht mehr einklappen könnt.
Gerade für Menschen, die ganzjährig ihre Kinder mit dem Carrie bei so ziemlich jeder Witterung kutschieren möchten, dürfte darüber hinaus ein großes Verdeck interessant sein, das sich ebenfalls im Zubehör findet. An dem geben große Fenster die Sicht nach vorn, links und rechts frei. So können die Kinder jederzeit das Geschehen um sie herum beobachten. Die Seiten und der obere Teil der Verdecks spannen sich um die Box herum. Folglich werden Wind und Regen die Insassen kaum erreichen. Habt ihr die Seiten außen an der Box noch nicht befestigt und damit gespannt, kann das Verdeck nach vorn geklappt werden, um den Kindern das Ein- und Aussteigen zu erleichtern.
Wer Extras wünscht, muss extra zahlen
So toll diese Möglichkeiten auch sind, sprechen wir stets über Extras. Zum jeweiligen Startpreis des Carrie kommt somit noch eine Summe hinzu. Je nach Ausstattung fällt diese unterschiedlich groß aus. Wir haben euch mal die Preise für einige der erwähnten Artikel aufgelistet. Dann könnt ihr eure eigene Rechnung aufmachen.
- Flex-Box: 399,90 Euro
- Cargo-Tasche: 299,90 Euro
- Kindersitze: 199,90 Euro
- Kindersitze mit Kopfstütze: 249,90 Euro
- Verdeck: 199,90 Euro
Wichtig zu wissen: Basis Box und Flex Box könnt ihr jeweils mit 80 Kilogramm beladen. Der optional erhältliche hintere Gepäckträger verträgt 27 Kilogramm. Durch seine Schnittstelle mit dem MIK-System bietet er sich als Platz für einen Kindersitz an. Ihr müsstet also nicht zwangsläufig die Boxen nutzen, wenn Kinder mitfahren sollen. Insgesamt beläuft sich das maximal zulässige Gesamtgewicht auf 200 Kilogramm.
Fair geht vor
Damit ein solches Maß an Belastbarkeit erreicht wird, braucht es den entsprechenden Rahmen dafür. Im Falle des Carrie wird dieser aus Aluminium hergestellt. Nicht aus irgendeinem Aluminium, sondern zu 81 Prozent aus recyceltem Aluminium. Riese & Müller verwenden wiedergewonnenes Material, das die Anforderungen des Aluminium Stewardship Initiative (ASI)-Standards erfüllt. Unter ASI haben sich Bergwerksbetreiber, Verarbeiter und Hersteller von Aluminium zusammengeschlossen, die für mehr Transparenz und Nachhaltigkeit in der Aluminiumindustrie sowie eine verantwortungsbewusste Aluminiumgewinnung eintreten.
Laut Riese & Müller weist ein Prüfzeugnis nach, dass das recycelte Aluminium qualitativ gleichwertig zu neuem Aluminium ist. Für seine Produktion genügen jedoch bereits fünf Prozent der Energiemenge, die das Gewinnen von Primäraluminium verlangt.
Mit seinem fair produzierten Rahmen kommt das Carrie auf eine Gesamtlänge von 209 Zentimeter. Für ein Longjohn ist dies ein recht kurzes Maß. Zum Vergleich: Das nächstkürzere Longjohn von Riese & Müller, das Transporter 65, misst 245 Zentimeter. Beim Multitinker, einem Longtail, bei dem die Hauptlast auf einem besonders großen Gepäckträger hinten transportiert wird, sind es nur 188 Zentimeter.
Moderate Federung
Ein Grund für die geringe Länge sind die 20 Zoll großen Laufräder am Carrie. Sie verleihen euch genügend Wendigkeit für das Manövrieren im Stadtverkehr. Normalerweise bezahlt man das im Gegenzug mit empfindlicherem Fahrverhalten, wenn es mal eine Stufe hinabgeht oder ihr Wurzeln oder ein Schlagloch mitnehmt. Der Hersteller gleich dies durch eine Federgabel mit einem Federweg von 50 Millimetern aus. Zudem könnt ihr die serienmäßige Sattelstütze gegen eine gefederte austauschen lassen. Dafür werden dann rund 150 Euro fällig.
Selbst E-Bike-System mit Wahloptionen
Welchen E-Antrieb Riese & Müller verbaut, beantwortet sich traditionell von selbst. Natürlich einen aus dem Hause Bosch. Die Frage lautet daher stets nur, um welchen es sich genau handelt. Beim Carrie hat sich der Hersteller für Smart System mit einem Bosch Performance Line entschieden. Der Motor unterstützt euch mit einer Dauernennleistung von 250 Watt bis zur gewohnten Geschwindigkeit von 25 km/h. Sein Drehmoment von 75 Newtonmeter liegt etwas unter dem eines Bosch Performance Line CX. Dafür gilt er im Vergleich als das leisere Aggregat von beiden. Aus unserer Sicht hätte dem Carrie auch der aktuelle Bosch Cargo Line gut zu Gesicht gestanden. Gerade mit Blick auf die hohe Zuladung, für die das E-Lastenfahrrad zugelassen ist.
Der am Steuerrohr platzierte Bosch PowerPack verfügt über eine Kapazität von 545 Wattstunden. Als Upgrade ist ein Wechsel auf den PowerPack 725 möglich. Dafür berechnet Riese & Müller 199,90 Euro. Ob ihr auch direkt auf den neuen PowerPack 800 gehen könntet, geht aus den uns vorliegenden Informationen leider nicht hervor.
Beim Bedienkonzept habt ihr die Wahl zwischen dem Purion 200 ohne zusätzlichem Display oder der Kombination aus LED Remote und dem kabellosen Display Intuvia 100.
Ketten- oder Nabenschaltung?
Ab Mai 2024 wird das Carrie dann in zwei Ausstattungsoptionen erhältlich sein. Einziger Unterschied zwischen beiden ist das Schaltsystem. Das günstigere Modell heißt Carrie Touring und bringt bei einem Preis von 5.799 Euro eine Kettenschaltung von Microshift mit zehn Gängen mit. Für 600 Euro mehr erhaltet ihr das Carrie Vario mit einer stufenlosen Nabenschaltung von Enviolo, die über einen Riemen angetrieben wird.
Riese & Müller Carrie im Überblick
- Varianten: Carrie Vario, Carrie Touring
- Rahmen: Aluminium (ASI-zertifiziert)
- Federgabel: SR Suntour Mobie A32 CGO, 50 mm
- Akku: Bosch PowerPack 545
- Motor: Bosch Performance Line
- Display: Bosch Purion 200, Bosch Intuvia 100 (optional)
- Bedieneinheit: LED Remote (optional)
- Antrieb: Enviolo 380 Heavy Duty, Microshift Advent X
- Bremsen: Magura MT4
- Gewicht: ab 34,4 kg
- Maximal zulässiges Gesamtgewicht: 200 kg
- Farben: Aqua, Anise, Shadow
- Preise: ab 5.799 Euro (Carrie Touring) / ab 6.399 Euro (Carrie Vario)
Bilder: Riese & Müller GmbH