Finsternis. Ein eindringlicher Glockenschlag. Noch einer. Eine Computerstimme intoniert „I’ve never been broken.“ Helle Lichtstrahlen tasten vorsichtig an der Silhouette eines Fahrrades entlang und verlieren sich wieder im Dunkel. Langsam, aber rhythmisch und fast ein wenig hypnotisierend setzen Klänge eines Synthesizers ein. Die Stimme wandelt sich in die einer Computerfrau. „I’ve never been broken, broken, broken …“ Etwas unvermittelt zermalmt ein stampfender Industrial-Bass das Geheimnisvolle des Moments, während im Spotlight erstmals ein Fully-E-MTB in Gänze erkennbar wird.
Schon mit dem Video zur Vorstellung der Theos F-Series möchte Kellys unbedingt Eindruck machen. Dazu fahren die Slovaken die ganz große Kapelle auf. Verständlich, zumindest aus ihrer Sicht. Schließlich haben sie nicht weniger als eine Revolution zu verkünden. Carbon als Rahmenmaterial gehört der Vergangenheit an. Von nun regiert Feather, ein thermoplastischer Faserverbundwerkstoff, der teilweise wundersam Gutes verspricht. Das will natürlich mit dem nötigen Nachdruck kundgetan werden.
Stahl trifft auf Carbon
Aber schön der Reihe nach. Tatsächlich bringt Kellys erstmals ein E-Bike auf den Markt, dessen Rahmen aus einem für die Bike-Branche neuen Material besteht. In Raum- und Luftfahrt, der Automobilindustrie und den Werkstoffwissenschaften sowieso ist das mit Mikro-Stahlfasern verstärkte Komposit auf Karbonbasis dagegen kein Neuling. Dort werden seit längerem die Vorteile des Materials geschätzt. Es verhält sich ähnlich wie ein Metall, wiegt aber nur so viel wie Karbon.
Vor allem bei äußerer Krafteinwirkung zeigt sich das große Plus gegenüber dem Karbon, das gewöhnlich für Fahrradrahmen genutzt wird. Das reagiert nämlich recht empfindlich auf einen heftigeren Aufprall. Mitunter lösen sich einzelne Layer des Karbons und es verliert seine strukturelle Integrität. Bedenklich ist dabei vor allem, dass dies äußerlich nicht immer erkennbar ist.
Wenn eine Delle etwas Gutes ist
Bei Feather hingegen hinterlässt ein solcher Aufprall eine sichtbare Delle, wie ihr dies von Aluminium oder Stahl kennt. Nach Aussage von Kellys bedeutet dies für die Rahmenfestigkeit kein Problem. Den Unterschied bewirkt in erster Linie ein thermoplastisches Polymer, das bei Feather als Verbundstoff zum Einsatz kommt. Es ist deutlich robuster als das Harz, das Karbon zusammenhält. Zudem sorgt es dafür, dass sich die Energie eines Aufpralls gleichmäßig verteilen kann. So bleibt die Gefügestruktur insgesamt intakt.
Gleichzeitig soll der neue Werkstoff doppelt so lange halten wie herkömmliches Karbon – ohne ein zusätzliches Gramm mehr. Vielleicht noch wichtiger ist jedoch der Umstand, dass er sich wiederverwenden lässt. In welchem Umfang und was genau daraus werden kann, sagt Kellys zwar nicht. Aber schon kleine Fortschritte würden hier einen deutlichen Schritt nach vorn bedeuten.
Entwicklung auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse
Derlei Ankündigungen klingen vielversprechend, keine Frage. Ob sich das später in der Praxis genauso bewahrheitet, wird sich zeigen. Das nötige Knowhow rund um das neue Rahmenmaterial ist bei Kellys auf alle Fälle vorhanden. Besser gesagt bei Rein4ced. Von dem belgischen Kooperationspartner bezieht Kellys die Rahmen. Der dortige CEO Michaël Callens hat an der Katholischen Universität Leuven seine Promotion über diesen Verbundstoff verfasst. Und das unter der Ägide von Professor Ignaas Verpoest. Dieser gilt als einer Ersten, die zur Verwendung von Stahlfasern in Verbundwerkstoffen geforscht haben. Callens gründete 2015 auf den Erkenntnissen seiner Promotion aufbauend das Start-Up Rein4ced. Ihr Wissen hat die Firma durch ein Patent schützen lassen. Die genaue Zusammensetzung des Materials ist somit strengstes Betriebsgeheimnis.
Ähnlich eindrucksvoll wie seine Eigenschaften ist die Produktion der Rahmen. Am Werk in Leuven ist beinahe der gesamte Prozess vollautomatisiert. Preislich liegt Rein4ced nach eigener Aussage dennoch über dem Niveau von in Asien hergestellten Karbonrahmen. Dafür kann die gesamte Logistik für die Belieferung des europäischen Marktes um einige Nummern kleiner ausfallen, als bei der Konkurrenz aus Fernost. Hinzu kommt der Vorteil, in unmittelbarer Nähe zum weltweit bedeutendsten Markt für E-Bikes agieren zu können. Seit Beginn 2020 werden übrigens sämtliche Karbon-Rahmen für die Marken der Accell Gruppe an dem Standort gefertigt. Laut Rein4ced können bis zu 20.000 Stück pro Jahr ausgeliefert werden.
Wendig und maximal haftend
Mindestens genauso entscheidend wie das Rahmenmaterial ist natürlich dessen Geometrie. Und die macht aus der Theos F-Series erkennbar ein Enduro-Geschoss. Auch wenn die Geometriedaten noch nicht veröffentlicht, zeigen die ersten Bilder, was Sache ist. Kurze Sitzstreben für ein agiles Fahrverhalten. Dazu kommen ein flacher Steuerrohrwinkel in Kombination mit einer abgesenkten Überstandshöhe und dem daraus resultierenden niedrigen Schwerpunkt, sprich jede Menge Traktion. Der Hinterbau basiert auf dem Think-Link-System von Kellys mit einer asymmetrischen Dämpferkinematik. Nach Aussage des Herstellers vermittelt dies beim Fahren einen angenehm feinfühligen Eindruck und lässt sich weder von Brems- und Antriebskraft noch vom Pedal-Kickback beeinflussen.
Ins Auge fällt aber auch geringe Abstand zwischen Reifen und dem kurzen hinteren Schutzblech. Das ist der kurzen Sitzstrebe geschuldet, wird sich auf den Trails aber vermutlich nicht als sonderlich problematisch erweisen.
Enduro-Bike mit Mixed-Wheels-Setup
Den Federweg hat Kellys für die beiden Modelle Theos F-90 und Theos F-70 mit 180 Millimetern vorn und 170 Millimetern sehr großzügig ausgelegt – eben passend zum Einsatzzweck. Das Einstiegsmodell Theos F-50 hat vorn und hinten jeweils 30 Millimeter weniger spendiert bekommen. Alle drei Bikes rollen auf einem Mullet-Wheels-Setup daher. Das vordere Laufrad misst also 29 Zoll, während es hinten 27,5 Zoll sind. Auffällig ist zudem die Aufnahme für den Flaschenhalter an der Oberkante des Oberrohres. Erscheint vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Wenn das funktioniert, ist das jedoch wesentlich angenehmer als die zwangsläufig verdreckte Trinkflasche an der Unterkante des Unterrohres.
Passend zum leichtgewichtigen Rahmen hat Kellys sein neues Flaggschiff mit dem gerade veröffentlichten Shimano EP8 ausgestattet. Der Motor bringt mit seinem Drehmoment von maximal 85 Newtonmetern nicht nur den zu diesem Bike passenden Vortrieb mit, sondern ist mit den 2,6 Kilogramm einer der leichtesten seiner Leistungsklasse.
Akku von deutschem Zulieferer
Mit Blick auf den Akku hat sich Kellys für einen eigenen Weg entschieden. Dessen Kapazität von 720 Wattstunden ist auf alle Fälle beeindruckend. Hinter dem Kellys Re-Charge K1 steckt jedoch der Hersteller BMZ aus Deutschland. Bei dem Namen durchfährt vielleicht einige von euch ein unliebsames Zucken. Als Komponentenhersteller für beispielsweise Kalkhoff und YT hat sich BMZ nicht unbedingt ein Image als zuverlässiger Anbieter erarbeitet. Andererseits sitzen Aggregate von BMZ schon jetzt in zahlreichen Bikes anderer Marken und arbeiten problemfrei.
Der Re-Charge K1 verdient zumindest unvoreingenommene Annäherung. Schließlich handelt es sich dabei um eine komplette Neuentwicklung. Sein internes Kühlsystem und seine Akkuzellen sind bisher noch in keinem anderen Akku verbaut worden. Entnehmen könnt ihr den Akku übrigens ganz einfach. Er lässt sich nach unten aus dem Unterrohr herausziehen. Kellys hat sich für diese Variante entschieden, weil somit im Rahmen nur ein verhältnismäßig kleines Loch nötig ist und die Stabilität gewahrt bleibt. Im Rahmen integrierte Akkus erfordern sonst stets größere Aussparungen, was die Widerstandsfähigkeit des Rohres stärker beeinträchtigt.
Top-Ausstattung zu erwartbarem Preis
Ansonsten lässt die restliche Ausstattung der Bikes wenig zu wünschen übrig. Am Topmodell F-90 ist eine kompletter Shimano Deore XT-Gruppe verbaut. Dazu gibt es mit den Shimano Deore MT8120 die passenden hydraulischen Scheibenbremsen. Federgabel und Dämpfer stammen aus der Float-Reihe von Fox Float und glänzen mit ihrer Kashima-Beschichtung. Dazu gibt es einen tollen H1700 Spline-Laufradsatz von DT Swiss. Den Shimano EP8 steuert ihr über das SC-E7000-Display.
Wie nicht anders zu erwarten, hat eine derartige Ausstattung ihren Preis. Für das Theos F-90 ruft Kellys 7.999 Euro auf. Das Keylls Theos F-70 erhaltet ihr für 6.199 Euro. Und für den Einstieg müsst ihr für das Kellys F-50 noch 4.999 Euro einrechnen. Lieferbar sind die Bikes laut Kellys ab Mitte Februar 2021.
Bilder: Kellys Bicycles s.r.o.