Heutzutage haben wir uns daran gewöhnt, dass der Motor eines E-Bike die nötige Energie aus einem Lithium-Ionen-Akku bezieht. Das muss nicht immer und ewig so bleiben. Gerade ist in den Niederlanden der Praxistest eines Antriebs angelaufen, der auf Wasserstoff setzt.
Unter dem Titel HydroCargo rollt über die Straßen von Arnheim ein E-Lastenrad mit einem Range Extender, der Wasserstoff und Sauerstoff mithilfe einer Brennstoffzelle in Elektrizität umwandelt. Der damit erzeugte Strom treibt den Elektro-Motor des Lastenfahrrades an. Die Initiatoren des Projektes rechnen damit, dass dank dieser Technologie das Hydrocargo doppelt so weit mit einer „Gasflasche“ fahren kann, als mit einer herkömmlichen Lithium-Ionen-Batterie. Natürlich immer in Abhängigkeit von den bekannten Rahmenbedingungen. Bezogen auf das Cargobike ist das vor allem die Frage nach dem Gewicht der Ladung und die Beschaffenheit des Geländes, in dem gefahren wird. Anvisiert sind rund 50 Kilometer mit einer vollen Ladung Wasserstoff.
Fahrradkuriere wollen länger fahren
Die Idee zu diesem Versuch stammt von Arnheims Lieferdienst „Groene Rijders“. Dabei handelt es sich quasi um Kuriere, die in erster Linie mit E-Lastenrädern unterwegs sind. Im Falle der „Groene Rijders“ sind dies unter anderem Bikes von UrbanArrow. Die Kuriere sind an die ebenfalls in Arnheim ansässige Stiftung mit den Namen „Alles over Waterstof“ – also „Alles über Wasserstoff“ – herangetreten. Sie hatten mitbekommen, dass diese sich auf verschiedene Weise mit der Nutzung von Wasserstoff beschäftigt. Innerhalb der Stiftung entstanden bisher ein Grill, eine Drohne und ein Range Extender für einen E-Scooter – alle auf Wasserstoffbasis funktionierend. In der Folge haben sich Kuriere und Stiftung gemeinsam der Frage angenommen, ob es einen Weg gibt, die Reichweite und damit Nutzungsdauer von E-Bikes zu verlängern und dabei auf die Lithium-Ionen-Technologie zu verzichten.
Das vorläufige Ergebnis heißt HydroCargo. Und auch wenn dessen Kapazität nun angewachsen ist, stellt sich auch hier das Problem des Aufladens, sprich Auffüllens. Ist der Wasserstoff des HydroCargo aufgebraucht, steuern die Fahrer zum Nachtanken das Wasserstofflabor der Hochschule von Arnheim und Nijmegen (HAN) an. Dieses befindet sich auf dem Industriepark Kleefse Waard in Arnheim und bedeutet natürlich immer einen gewissen Umweg. Mit kommerziell betriebenen Auffüllstationen, die in den Städten verteilt sind, könnte der künftig entfallen. Aber das ist noch Zukunftsmusik.
Nicht für jedermann – aber mit jeder Menge Pluspunkte
In der Gegenwart gibt es zumindest eine Alternative. Wer gerade keinen Industriepark oder eine Auffüllstation um die Ecke hat, kann mit gasförmigem Wasserstoff gefüllte Behälter zum Nachtanken nutzen. Ein solches Verfahren wird bereits bei privaten NutzerInnen angewandt, zum Beispiel im Falle des Wasserstofffahrrades der französischen Firma Pragma Industries.
Erfahrungen mit dem Bike von Pragma als auch die bisherigen Erkenntnisse rund um das HydroCargo zeigen, welches Potenzial in dieser Lösung steckt. Wasserstoff weist eine größere Energiemenge im Vergleich zu Lithium-Ionen-Akkus auf. Daraus resultierend verdoppelt sich die Reichweite vergleichbarer Energiespeicher. Gleichzeitig beschleunigt sich das Auffüllen der Speicher enorm. Für das komplette Aufladen eines Lithium-Ionen-Akkus mit einer Größe von rund 600 Wattstunden vergehen mehrere Stunden. Der Range Extender des HydroCargo ist nach Angaben von „Alles über Wasserstoff“ innerhalb von fünf Minuten zu 100 Prozent aufgeladen. Wie bei einem klassischen E-Bike entstehen während des Fahrens außerdem keinerlei Emissionen. Das gewährt den Zugang zu allen Umweltzonen innerhalb einer Stadt.
Ernüchterung an der Tankstelle
Ein großes „Aber“ folgt jedoch prompt. Dabei geht es um den Preis für eine Tankfüllung. An der Tankstelle kostet ein Kilogramm Wasserstoff etwa 10 Euro. Wasserstoffbetriebene Autos
fahren damit derzeit ungefähr 100 Kilometer weit. Benzin und erst recht Strom sind da um ein Vielfaches günstiger für die EndverbraucherInnen. Angesichts derart hoher Betriebskosten rückt die private Anwendung in weite Ferne, zumindest für den Moment.
Das weiß natürlich auch „Alles über Wasserstoff“. Nach einem möglichen Preis für ein HydrCargo gefragt, hält sich Frank Mietes von der Stiftung entsprechend bedeckt. Auf alle Fälle sei es nicht konkurrenzfähig im Vergleich zu einem regulären E-Bike. Das Wasserstoff-E-Bike von Pragma kostet rund 7.500 Euro ohne Mehrwertsteuer.
Glaube an Lösung mit Wasserstoff ungebrochen
Der Ernsthaftigkeit des in Arnheim angelaufenen Tests tut dieses keinen Abbruch. Man wolle zeigen, dass es neben Lithium-Ionen-Akkus weitere Optionen gebe. Ein Wasserstoff-Lastenrad biete neben größerer Unabhängigkeit und dem schnellen Tanken weitere Vorteile, stellt Frank Mietes heraus. Dazu zähle der Umstand, dass Wasserstoff auch bei kälteren Temperaturen eine gleichbleibende Kapazität liefere und dies über Jahre hinweg.
Lastenradhersteller UrbanArrow, einer der Kooperationspartner, äußert sich ähnlich optimistisch. „Die Reichweitenverlängerung ist einer der wichtigsten Punkte in unserem Entwicklungsprogramm. Im Moment kann man die Reichweite nur durch das Hinzufügen weiterer Batterien vergrößern, aber Wasserstoff wird eine weitere Option“, sagt Frank Oudegeest, Director B2B bei Urban Arrow. „Ein großer Vorteil von Wasserstoff gegenüber Batterien ist, dass man mit Wasserstoff sehr schnell tanken kann. Und man kann die Batterie während der Fahrt aufladen. Diese Kombination macht das Lastenrad sehr effektiv für Paketzustelldienste.“
Oudegeest ist gespannt auf das Endergebnis des Projekts. „Auf jeden Fall passt es perfekt in unsere zukünftige Strategie. Ich bin besonders neugierig darauf, wie die Reichweite in Zukunft aussehen wird. Im Moment konzentriert sich das Projekt auf den komplementären Einsatz von Batterie und Wasserstoff, aber ich kann nicht ausschließen, dass die E-Lastenräder in Zukunft ausschließlich mit Wasserstoff betrieben werden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“
Hintergrund: Energiegewinnung mit Wasserstoff
Gekoppelt mit einer Brennstoffzelle, lässt sich mit Wasserstoff elektrischer Strom erzeugen. Bislang wird davon vor allem Elektrofahrzeugen Gebrauch gemacht. Entsprechende Lösungen ersetzen dort Lithium-Ionen-Akkus. Gerade unter ökologischen Aspekten ist die Wasserstoff-Technologie der Lithium-Ionen-Technologie überlegen. Sie benötigt ein um das Tausendfache niedrigere Menge an seltenen Erden und Edelmetallen. Das Recycling verbraucht deutlich weniger Ressourcen und gelingt umweltschonender. Auf Wasserstoff basierende Energiespeicher operieren temperaturunabhängiger und verlieren nicht kontinuierlich an Leistung. Der beispielsweise für das Fahren eines E-Bikes benötigte Wasserstoff lässt sich lokal aus erneuerbaren Energien herstellen.
Bilder: All About Hydrogen Foundation; Bike Europe; Pragma Industries; Linde GmbH; Tagesspiegel.de