Gut fünf Monate sind vergangen, seitdem Fazua seinen zweiten Antrieb, den Ride 60, vorgestellt hat. Bei der Premiere im April gab es Modellreihen von Riese&Müller sowie Canyon zu sehen, die urbane E-Bikes damit ausgestattet haben. Auf der Eurobike im Juli folgte dann Velo de Ville ebenfalls mit Fahrrädern, deren Spielwiese der Stadtverkehr ist. Doch im Fazua Ride 60 steckt noch viel größeres Potenzial. Das beweist nun Haibike mit seinem ersten Light E-MTB namens Lyke.
Manche von euch überrascht diese Nachricht vielleicht. Schließlich sollten gerade die E-Mountainbikes von Haibike jahrelang vor allem eine Botschaft vermitteln: Wir bieten Power ohne Ende. Gerne gepaart mit massiven Rahmenkonstruktionen und grellen Farben. Mit dem Lyke setzt der Hersteller jetzt nicht zur Kehrtwende an. Vielmehr segelt er in für ihn bisher unbekannte Gewässer und erweitert seine ganz eigene Weltkarte, um kurz in der Segelsprache zu bleiben.
Erst der Anfang?
Dem Vernehmen nach sieht der Hersteller in der Integration des Antriebs und des Eröffnens eines ganz neuen Segmentes sehr wohl einen Schritt, dem künftig weiter folgen könnten. Ganz bewusst wendet er sich Menschen zu, die den sportlichen Reiz am Fahrradfahren schätzen. Die vielleicht noch mit einem herkömmlichen Fahrrad unterwegs sind, gleichzeitig hin und wieder über ein E-Bike nachdenken, sich aber nicht wirklich mit dem Gedanken eines Kaufes anfreunden können. Weil ihnen E-Bikes zu klobig erscheinen. Weil sie keine 25 Kilogramm antreiben wollen. Schon gar nicht, falls mal der Akku unerwartet früh aufgebraucht ist. Weil E-Bike-Fahren oftmals so viel mehr erfordert, als einfach nur auf das Rad zu steigen und loszufahren.
Spaß auf großen Rädern
Solche Bedenken soll das Lyke zerstreuen. Haibike spielt dafür die Spaß-Karte. Gemeint ist natürlich der Fahrspaß. Und das Spaßobjekt ist ein leichtes, agiles Trailbike, das die Vorteile der elektrischen Unterstützung in genau den Momenten zur Geltung bringt, in denen sie am meisten gefragt sind. Davor und danach darf gern der Eindruck entstehen, man sei auf seinem bisherigen Bio-Bike unterwegs.
Aufgrund solcher Vorüberlegungen hat Haibike einen aus Carbon gefertigten Rahmen konstruiert, den auf Federelemente mit einem Federweg von 140 Millimetern vorn und hinten ausgerichtet und ihn auf 29 Zoll große Laufräder gesetzt. Ein steiler Sitzwinkel von 77,3 Grad sowie ein recht flacher Steuerwinkel von 65 Grad sorgen für einen modernen Kompromiss zwischen Bergab- und Bergauffahren. Und der Haibike-typische Doppelknick im Oberrohr darf natürlich nicht fehlen.
Alltagstauglichkeit wichtiger als Rekordgewicht
Damit tatsächlich mehr Menschen den Umstieg auf ein E-Bike in Erwägung ziehen, wollte der Hersteller ihnen unbedingt das Aufladen des Akkus erleichtern. Aus seiner Sicht ist es für viele entscheidend das Bike nicht zur Steckdose tragen zu müssen, sondern den Akku dafür am Ort ihrer Wahl anschließen zu können. Sobald ein E-Bike zusammen mit dem Auto auf Reise gehen soll, ist das bequeme Herausnehmen des Energiespeichers ebenfalls von Vorteil.
Diesem Ansinnen hat Haibike sogar das ultimative Reduzieren des Gesamtgewichts untergeordnet. Ein komplett fest verbauter Akku hätte das Gewicht des Rahmens nämlich noch weiter gesenkt. So findet sich jetzt nahe des Tretlagers eine Öffnung, durch die sich der Akku herausziehen lässt. Aber halt – ist da nicht der Mittelmotor im Weg? Ja, normalerweise schon. Doch die Kombination aus der speziellen Form der Drive Unit des Fazua Ride 60 und des Einfallsreichtums von Haibike verhindern diese Kollision.
Gekonnte Drehung
Der Hersteller hat den Motor für die Integration einfach gedreht. Ein Blick auf die Historie zeigt, dass er gleiches bereits mit anderen Motoren an anderen E-Bikes getan hat. Nur nicht so extrem wie in diesem Falle. Der Großteil des Motors ragt in einem Winkel von rund 90 Grad im Inneren des Rahmens in das Sitzrohr hinein. Dadurch wird der Weg im Unterrohr frei für den Akku. Passenderweise rutscht dieser so fast bis ans Ende des Unterrohrs. Die tiefe Position von Motor und Akku sorgt für eine tolle Balance des Bikes. Daraus resultieren ein längerer Kontakt zum Untergrund während des Fahrens sowie ein ausgesprochen agiles und wendiges Handling. Das unterhalb des Tretlagers montierte Skid Plate schützt im Grunde nur die Öffnung für die Akkuentnahme, aber gar nicht den Motor. Der ist nahezu komplett vom Rahmen umschlossen. Am Ende dieser ganzen Tüftelei steht ein Gesamtgewicht von rund 18 Kilogramm für das Topmodell des Lyke.
Im Zuge der Entwicklung dieses neuen Bikes hat sich Haibike auch dem Thema der Kinematik mit frischen Augen zugewandt. Herausgekommen ist der Verzicht auf einen klassischen Viergelenker im Sinne, wie ihn der Hersteller bislang meist verbaut hatte. Stattdessen ist der Dämpfer beim Lyke über einen Adapter am Oberrohr angebunden. Bei Mitbewerbern wie Specialized, Trek und etlichen anderen hat sich dies ja seit Jahren bewährt.
Technik, die sich auszahlt
Die eigentliche Ausstattung aller drei Modelle Lyke SE, Lyke 11 und Lyke 10 fällt enorm hochwertig aus. Ein vollständiges Dämpfungssystem von Fox mit Kashima-Coating ist einer der Gründe, weshalb der Preis für das Topmodell Lyke SE auf üppige 9.999 Euro klettert. Brems- und Schaltkomponenten von Shimanos edler XTR-Gruppe sowie ein Laufradsatz mit Carbonfelgen und die versenkbare Transfer Factory-Sattelstütze von Fox tragen genauso dazu bei.
Wer so viel investieren möchte, bekommt im Gegenzug auf dem Trail in den Genuss eines absolut überzeugenden Fahrerlebnisses. Das Drehmoment von 60 Newtonmetern und die drei verfügbaren Unterstützungsstufen erweisen sich als sehr ausgewogen. Ob ihr die E-Bike-Seite des Lyke oder seine Nähe zu einem herkömmlichen Trailbike hervorkehren wollt, ist völlig euch überlassen. Ihr könnt euch richtig verausgaben, mit der minimalen Unterstützungsstufe die Lunge brennen lassen und an früher zurückdenken. Oder ihr baut im Rocket-Modus so viel Momentum auf, dass in erster Linie bergauf plötzlich Dinge möglich werden, die bisher außerhalb des Fahrbaren lagen. Bergab wird jede Voreinstellung mehr oder weniger irrelevant. Die wenigen Kilogramm, die das Lyke von einem vergleichbaren herkömmlichen Trail-Mountainbike unterscheiden, spürt ihr kaum. Stattdessen wird deutlich, wie gelungen die vorhandenen Massen verteilt sind.
Weniger ist mehr
Positiv bei unserer Testfahrt überrascht hat uns, wie gut das minimalistische Bedienkonzept des Fazua Ride 60 mit der fast unsichtbaren Ring Control am Lenker und dem im Oberrohr eingelassenen LED Hub in der Praxis funktioniert. Gerade die Remote verdient zurecht das Prädikat intuitiv. Einmal nach oben drücken, schone gelangt ihr in die nächst höhere Unterstützungsstufe. Einmal nach unten und der Motor nimmt sich entsprechend zurück. Dafür während der Fahrt nicht mehr am Oberrohr hantieren zu müssen, erweist sich als Gold wert. Nach etlichen Höhenmetern erlischt am Ende der Fahrt gerade einmal eine LED der Akkuanzeige. Sonderlich energieraubend kann der Ride 60 nicht arbeiten. Entsprechend lang dürften die 430 Wattstunden des Akkus im Alltag ausreichen. Wer gern auf Nummer sicher geht, kann einen Range Extender mit 210 zusätzlichen Wattstunden nutzen. Den bietet Haibike als Plug&Play-Lösung in der inzwischen recht weit verbreiteten Form an, die in einen gewöhnlichen Flaschenhalter passt.
Haibike Lyke 2023 im Überblick
- Varianten: Lyke SE, Lyke 11, Lyke 10
- Motor: Fazua Ride 60
- Akku: Fazua Energy 430
- Bedieneinheiten: Fazua LED Hub und Fazua Ring Control
- Federgabel: Fox 36 Float Factory Air, Fox 36 Float Performance Air
- Antrieb: Shimano Deore XTR, Shimano Deore XT, Shimano SLX
- Bremsen: Shimano XTR M9120, Shimano XT M8120, Shimano Deore M6120
- Maximal zulässiges Gesamtgewicht: 120 kg
- Preis: ab 6.499 Euro
Bilder: Winora-Staiger GmbH
Sehr gut aber ein Hardtail mit 16 kg und ebensolchen Komponenten wäre mir noch lieber
Hallo Manfred,
für die Stadt hat Riese & Müller mit der UBN-Serie ja schon im Sommer eine Modellreihe präsentiert, die auf dem Ride 60 von Fazua basiert. Ich rechne aber fest auch mit dem oder anderen Hardtail-Mountainbike in nächster Zeit. Mit hoher Wahrscheinlichkeit berichten wir darüber dann auch hier bei uns auf dem Blog.
Sportliche Grüße, Matthias