Das Knistern des Lagerfeuers erfüllt die Nacht. Am selbstgeschnitzten Spieß warten ein paar Marshmallows auf ihr Schicksal als Nachtisch. Noch bleibt ihnen ein wenig Zeit. Die letzten Bissen vom Fisch haben wir gerade erst verputzt. Zuvor noch ein paar Schritte zur Verdauung tun und kurz nach den Pferden sehen. Nur dass die Pferde gar keine Pferde sind, sondern E-Bikes. Bloß gut. Denen muss morgen früh beim Aufbruch in aller Frühe niemand gut zureden. Ein Knopfdruck genügt und sie sind bereit für die nächste Etappe.
So in etwa stellt sich Tern vermutlich das Szenario für einen Ausflug mit dem Orox vor. Bislang wollte uns der Hersteller mit seinen Lastenfahrrädern möglichst flexibel durch den Großstadtdschungel lotsen. Nun geht es über die Stadtgrenzen hinaus. Das neueste Modell des Unternehmens aus Taiwan beweist seine Qualitäten insbesondere abseits befestigter Straßen und Wege. Und reichlich Gepäck dürft ihr dabei immer noch mitnehmen.
Neu ist dieser Ansatz nicht. Schon E-Bikes wie das Skid Loader von Surly versuchten urbane Anforderungen wie das Transportieren von größeren Lasten und von Passagieren mit dem Abenteuerspaß zu verbinden, den Trekking-Touren oder das Fahren einfacherer Trails bieten können. Allerdings wirkte bislang kaum eines so geländetauglich wie das Orox.
Nur breit oder doch besser fett?
E-Mountainbikes punkten an der Stelle gewöhnlich mit der entsprechenden Rahmengeometrie sowie einen Federsystem mit Dämpfer und Federgabel. Diesbezüglich ist das Orox etwas einfacher gestrickt. Für das Fahrvergnügen abseits der Straße soll in erster Linie die enorme Reifenfreiheit des Modells sorgen. Eine genaue Geometrie liefert Tern leider aktuell noch nicht. Allerdings schreibt der Hersteller in der dazugehörigen Pressemitteilung von bis zu fünf Zoll breiten Reifen, mit denen ihr das Orox fahren könnt. Solche Maße gehören sonst in die Kategorie der Fatbikes. Zur Einschränkung sei erwähnt, dass ihr derart massive Pneus auch nur mit der kleinstmöglichen Laufradgröße von 26 Zoll fahren könntet. Je größer ihr bei der Reifenwahl geht, desto schmaler wird der Abdruck, den ihr dabei hinterlasst:
- Laufradgröße 26 Zoll: maximale Reifenbreite von 5 Zoll (127 mm)
- Laufradgröße 27,5 Zoll: maximale Reifenbreite von 4 Zoll (101,6 mm)
- Laufradgröße 29 Zoll: maximale Reifenbreite von 3 Zoll (76,2 mm)
In der Ausstattung der jeweiligen Modelle reizt Tern das hier angegebene Maximum nicht alle Fällen aus. Ab Werk montiert sind Johnny Watts von Schwalbe, die bei den 27,5 Zoll großen Laufrädern tatsächlich vier Zoll an Breite messen. Bei den Varianten des Orox mit den 29 Zoll groß Laufrädern sind es verhältnismäßig schlanke 2,6 Zoll. Anscheinend fertigt Schwalbe die überbreiten Reifen exklusiv für Tern. In jedem Falle geht es in Schwalbes Onlineshop nicht über 2,6 Zoll hinaus. Reifenbreiten von drei, vier oder gar fünf Zoll sucht ihr dort vergeblich.
Aufgezogen sind die Riesenschlappen auf entsprechend stabilen Felgen. Die Atlas X Cargo-Laufräder verfügen über robuste Hohlkammerfelgen. Extra breit fallen zudem die Steckachsen mit dem Boost-Standard aus. Dicke Speichen runden das Bild stimmig ab. Unter diesen Voraussetzungen genügt laut Tern bereits ein Luftdruck in den Reifen von minimal 0,4 Bar, um voranzukommen, wenn sich vor euch ein Meer aus Schlamm, Sand oder anderem herausfordernden Untergrund auftut. Selbst konnten wir noch keinen Blick auf die Neuheit von Tern werfen. Daher können wir euch leider nicht sagen, welchen Pannenschutz die Bereifung mitbringt. Denn auch wenn Reifengröße, Profil und Luftdruck vieles möglich werden lassen – so ganz ohne Luft geht es dann doch nicht.
Klotzen statt kleckern
Dieses Maß an Robustheit zieht sich durch das gesamte Pedelec. Aus den Rahmenrohren werden gerade am Hinterbau eher Rahmenprofile. Mehrere kleinere Streben stützen den aus Aluminium gefertigten Rahmen an ausgewählten Stellen. Die Gabel ist starr und besteht aus Stahl. Sicherheit und Zuverlässigkeit schlagen hier ganz klar Gewicht oder zusätzlichen Fahrkomfort. Erst recht, da es im Grunde aktuell auch keine Federgabel gibt, die Tern hätte guten Gewissens verbauen können. Schließlich kann das Orox bis zu einem Gesamtgewicht von maximal 210 Kilogramm belastet werden. Keine Federgabel hält derartigen Kräften dauerhaft stand. Sobald ihr im Gelände fahrt, sinkt das zulässige Gesamtgewicht auf 180 Kilogramm. Aufgrund der andersartigen Fahrbedingungen müsste eine Gabel dort jedoch mindestens genauso großen Kräften standhalten. Deshalb erscheint der Griff zur Stahlgabel absolut nachvollziehbar.
Gerade der hintere Gepäckträger bringt die Dimensionen mit, um die erwähnten Gewichtsgrenzen tatsächlich auszureizen. Seine Ladefläche ist ausreichend groß. Da passt jede Menge Gepäck drauf und dran. Ihn dürft ihr mit maximal 100 Kilogramm beladen. An der Gabel finden sich insgesamt 14 Anschraubpunkte zum Anbringen von unterschiedlichstem Zubehör. Im Programm führt Tern zum Beispiel einen vorderen Gepäckträger, der immerhin 25 Kilogramm aufnimmt. Am Fahrrad lassen sich etliche Taschen, Körbe, Griffe, Sitze und Relings befestigen, die ihr eventuell schon von anderen Modellen kennt. In Sachen Kompatibilität hat der Hersteller vieles richtig gemacht, sodass das Orox von alldem profitiert, was sich bei Tern bereits zuvor bewährt hat.
Das kann mit. Das auch. Das auch.
Beispielhaft dafür stehen etwa die großen Cargo Hold 72 Panniers. Wasserdicht. Riesige 72 Liter Stauraum. Genau das Passende, wenn ihr mehrere Tage dem Alltag entfliehen wollt und dabei nicht auf die Angelausrüstung, die Gitarre oder die Lieblingskuscheltiere verzichten möchtet. Daneben zeigt Tern auch neues Zubehör wie die klappbaren Trittbretter namens Stow Decks. Diese lassen sich zum einen im rechten Winkel arretieren, sodass kleine und größere Passagiere ihre Füße während der Fahrt darauf ausruhen können. Zum anderen könnt ihr sie aber auch weniger stark abwinkeln und so schwere Gepäcktaschen abstützen. Neu ist ebenfalls eine Tasche für das Rahmendreieck zwischen Ober-, Unter- und Sitzrohr. In ihr findet der am Unterrohr befestigte Akku Platz. Die Tasche schützt ihn vor Schmutz, Kälte und direkter Sonneneinstrahlung.
Wer mit dem ganzen Stauraum immer noch nicht auskommt, kann an einem im Hinterbau integrierten Rahmenteil namens TowBar eine Anhängerkupplung anbringen. In den angekoppelten Anhänger könnt ihr weiteres Gepäck laden oder vierbeinige Freunde auf die Abenteuerreise mitnehmen.
Da wir gerade beim Rahmen sind – von dem bietet Tern zwei verschiedene Größen an. Das ist bemerkenswert. Vielleicht nicht für die Fahrradwelt, aber zumindest für den Hersteller. Bisher hat der all seine Lastenfahrräder stets in einer Einheitsgröße konzipiert. Nun habt ihr Wahl zwischen einer M und einer L.
- Rahmengröße M: empfohlen für Körperlänge von 155 Zentimeter bis 185 Zentimeter
- Rahmengröße L: empfohlen für Körperlänge von 165 Zentimeter bis 195 Zentimeter
Portfolio international abgestimmt
Während sich diese Entscheidung von selbst ergibt, heißt es bei der nächsten vermutlich genauer nachzudenken. Gemeint ist die Frage, welches Modell des Orox am besten zu euch und euren Anforderungen passt. Eigentlich schickt Tern fünf ins Rennen. Allerdings gilt dies nur theoretisch. Praktisch schaut das Unternehmen ganz genau, welche Zielgruppe wo anzutreffen ist. So tauchen im Shop für den US-amerikanischen Markt nur zwei Modelle auf. Beide rollen auf den vier Zoll breiten Reifen daher. Eines hat eine Kettenschaltung, das andere eine Nabenschaltung. Beide Schaltungstypen begegnen euch auch in Deutschland. Allerdings sind die hier auf drei verschiedene Modelle aufgeteilt.
Reifenbreite und Schaltungstyp als Hauptkriterien
Wer hierzulande das Orox als Fatbike fahren möchte, hat nur eine Option. Dies ist die Kombination mit einer 12-Gang-Kettenschaltung von Shimano sowie der Laufradgröße 27,5 Zoll. Das Orox S12 (27,5”) gibt es ausschließlich im Farbton Satin Pine, einer Art Olivgrün. Für wen die Reifenbreite zweitrangig ist, dem eröffnen sich mit der Laufradgröße 29 Zoll weitere Möglichkeiten. Erstens könnt ihr dort ebenso eine Kettenschaltung fahren, aber vom Satin Pine auf ein Satin Highland Yellow wechseln. Zusammen mit dann zwar größeren, aber schmaleren Reifen. Zweitens steht ein Modell mit einer Nabenschaltung von Rohloff parat. Das Orox R14 (29”) gibt es jedoch nur in der Farbe Satin Granite. Zusammen mit einen Aufschlag von 2.200 Euro im Vergleich zum Startpreis für das Orox S12, der bei 6.799 Euro liegt.
Was die Schaltungen anbelangt, haben beide Varianten ihr Für und Wider. Naturgemäß bedeutet die Kettenschaltung immer mehr Pflegeaufwand als eine Nabenschaltung. Erst recht, wenn das Gegenüber die E-14 von Rohloff ist, bei der lediglich ein Ölwechsel pro 10.000 gefahrene Kilometer ansteht. Ganz zu schweigen vom ölfreien und abwischbaren Carbonriemen. Andererseits mögen viele bei einer Kettenschaltung allein schon die Haptik des Schaltens, das Surren der Kette oder die Geräusche beim Gangwechsel. Von der Übersetzungsbandbreite sowie der Größe der Gangsprünge nehmen sich beide nicht viel und bewegen sich auf sehr hohem Niveau.
Lastenrad ohne speziellen Lastenrad-Motor
Sein Konzept des abenteuerfreudigen Lastenfahrrades verfolgt Tern konsequent bis hin zum E-Antrieb. Beim Bosch Smart System greift der Hersteller ganz bewusst zum Bosch Performance Line CX-Motor. Theoretisch wäre auch der Cargo Line-Motor denkbar gewesen. In Bezug auf technische Daten wie Drehmoment und Leistung sind beide gleichauf. Allerdings hättet ihr dann die typischen Fahrmodi des Cargo Line nutzen müssen. Und zu denen gehört beispielsweise kein eMTB-Modus. Der wäre auch über Software-Updates wie die kürzliche Umstellung auf die Version 1.18 der eBike Flow App nicht im Nachhinein hinzufügbar gewesen.
In Sachen Reichweite geht Tern in die Vollen und setzt auf den neuen Bosch PowerPack 800. Dessen Kapazität könnt ihr mit einem optionalen zweiten Rahmenakkku auf dann 1.600 Wattstunden verdoppeln. Unter optimalen Voraussetzungen könnte das für Reichweiten von mehr als 300 Kilometer reichen. Wir setzen den Satz ganz bewusst in den Konjunktiv. Denn eine dieser Voraussetzungen wäre, dass ihr das Orox so leicht wie möglich fahrt. Bei einem Cargobike widerspricht dieser Vorsatz komplett dem Zweck des Fahrrades. Daher scheint es angebrachter, sich bei den Reichweiten eher an den Minima zu orientieren. Erst recht, wenn ihr wirklich hauptsächlich abseits der Straße fahrt. In dem Falle könnt ihr von rund 90 Kilometern mit einem Akku ausgehen und der doppelten Strecke, wenn ihr zusätzlich einen zweiten PowerPack 800 nutzt.
Komplettiert wird das E-Bike-System von der LED Remote als Bedieneinheit, dem Display Kiox 300 sowie einem serienmäßig integrierten Bosch ConnectModule. Der GPS-Tracker erweist sich unter anderem als nützlich, wenn ihr eure Bikes auf dem Trip in die Wildnis so gut getarnt habt, dass ihr sie am nächsten Morgen nicht mehr wiederfindet. Vorausgesetzt, euer Smartphone hat noch genügend Strom, damit ihr die Ortungsfunktion der App aufrufen könnt. 😉
Nach Angaben von Tern soll das Orox ab April in Deutschland und weiten Teilen Europas erhältlich sein.
Tern Orox im Überblick
- Varianten: Orox S12 (27,5”), Orox S12 (29”), Orox R14 (29”)
- Rahmen: 6061 Aluminium
- Gabel: CrMo-Stahl
- Motor: Bosch Performance Line CX
- Akku: Bosch PowerPack 800
- Bedieneinheit: Bosch LED Remote
- Display: Bosch Kiox 300
- Antrieb: Shimano Deore XT, Rohloff E-14
- Bremsen: Magura MT5
- Gewicht: 33,2 kg (Rahmengröße M, Laufradgröße 27,5 Zoll, Kettenschaltung) / 30,5 kg (Rahmengröße M, Laufradgröße 29 Zoll, Kettenschaltung) / 31,2 kg (Rahmengröße M, Laufradgröße 29 Zoll, Nabenschaltung)
- Maximal zulässiges Gesamtgewicht: 210 kg / 180 kg (Offroad)
- Farben: Satin Pine, Satin Highland Yellow, Satin Granite
- Preise: ab 6.799 Euro für Orox S12 / ab 8.999 Euro für Orox R14
Bilder: Mobility Holdings, Ltd.
Wie lang ist das Orox bei der 27,5 Zoll Variante? Kann man es auf einem Heckträger am Auto (Anhängerkupplung) transportieren? Wie wechselt man den Hinterreifen (insbesondere im Wald/unwegsamen Gelände)? Kann man das Orox gegebenenfalls auch ohne Akku / Gepäck alleine tragen (z.B. in den Zug, am Bahnhof ohne Lift/Rolltreppen)? Danke
Hallo,
dann versuche ich mal, Schritt für Schritt deine Fragen zu beantworten.
1. Tern bietet tatsächlich auf keiner Webseite, zu der wir Zugriff haben, genaue Abmessungen an. Wir haben jedoch schon ein Exemplar mit 27,5-Zoll-Laufrädern ausgeliefert. Dafür mussten wir den Fahrradkarton auf 2,20 verlängern. Zudem waren die Reifen höchstens ansatzweise mit Luft gefüllt. Daher liegt die Gesamtlänge vermutlich ungefähr bei 2,25 m bis 2,3 m.
2. Ja, das Tern Orox lässt sich mit einem Fahrradträger am Pkw transportieren. Allerdings muss der Träger auf das Gewicht des Fahrrades von rund 38 kg sowie die sehr breiten Reifen ausgelegt sein.
3. Der Reifenwechsel sollte sich nicht von dem an einem anderen Fahrrad mit Kettenschaltung unterscheiden. Lediglich die Dimensionen sind etwas andere. Als Reifenheber empfehlen wir gern die von Schwalbe. Funktionieren erfahrungsgemäß einfach am besten.
4. Theoretisch kannst du das Orox natürlich auch allein tragen. Aufgrund der Länge und des Gewichts des Fahrrades setzt das aber vermutlich voraus, dass die entsprechende Person ziemlich groß und kräftig sein musss. Das Abnehmen des Akkus erleichtert die Sache ja auch nur um vier Kilogramm. Enge Kurven in Bus oder Bahn sind zudem Gift bei einem solchen Vorhaben. Da sollte man vorher zum einen vielleicht mal die nötige Trockenübungen zuhause gemacht haben, um zu spüren, ob das machbar ist oder nicht. Und zum anderen sollte man möglichst genau die Gegebenheiten in Bus und Bahn im Voraus einschätzen können.
Sportliche Grüße, Matthias
Cooles Bike. Wieviel wiegt denn das Orox?
Hallo,
je nach Ausstattung bewegt sich das Gewicht des Orox zwischen 30,5 kg und 33,2 kg. Findest du auch noch einmal unten im Beitrag aufgelistet.
Sportliche Grüße, Matthias