Sobald ein E-Bike von Specialized möglichst wenig wiegen soll, greift der Hersteller zu seinem Superlight-Antriebssystem. Im Mai 2023 erschien dessen neueste Version, das Specialized SL 1.2. Verbaut war es an einem E-Mountainbike, dem Specialized Turbo Levo SL. Nun darf der Antrieb erstmals in einem E-Gravelbike seine Qualitäten unter Beweis stellen.
Schon der Vorgänger SL 1.1 verband mehrere Typen von E-Bikes miteinander. Er schlug die Brücke vom Mountainbike über das Gravelbike bis hin zum City- und Trekkingbike. In exakt diese Fußstapfen tritt der SL 1.2 nun am Specialized Turbo Creo 2.
Wenn die inneren Werte zählen
Sein Motor scheint wie für dieses E-Gravelbike gemacht. Auf die Waage bringt der mit 1,9 Kilogramm zwar noch genauso viel wie zuvor. Dafür ist sein Leistungspotenzial deutlich angewachsen. In der Spitze unterstützt er euch mit 320 Watt. Das liegt 33 Prozent über dem vorherigen Wert. Auf die Geschwindigkeit hat das jedoch keinen Einfluss. Hier verabschiedet sich der Motor wie üblich, sobald ihr schneller als 25 Kilometer pro Stunde fahrt.
Im Vergleich zum SL 1.1 wird das trotzdem energischer anfühlen. Denn zusätzlich zur Leistung hat sich mit der Überarbeitung auch das Drehmoment erhöht. Die 50 Newtonmeter des Mittelmotors liegen nicht nur weit über den bisherigen 35 Newtonmeter, sondern heben Specialized damit auf Augenhöhe zu Wettbewerbern wie dem HPR50 von TQ.
Komplett bei null begonnen
Glaubt man den Aussagen von Jan Talavesek, bei Specialized als Senior Director verantwortlich für die Turbo-Modelle unter den E-Bikes, wurde beim Wechsel vom SL 1.1 zum SL 1.2 jedes noch so kleine Bauteil ausgetauscht. Es handelt sich folglich um zwei gänzlich verschiedene Motoren. Das müsstet ihr auch hören. Wer weniger Geräusche von sich gibt, muss der Neue sein. Messungen von Specialized haben einen um 40 Prozent leiseren Betrieb ergeben.
Noch mehr Wert legt der Hersteller allerdings auf die gestiegene Effizienz des Aggregats. Gemeint ist hier das Verhältnis zwischen der Masse des Antriebs und der daraus resultierenden Reichweite. Damit das optimal ausfällt, hat Specialized nach eigener Aussage intensiv am Motorenmanagement gearbeitet. Demnach läuft der SL 1.2 am effizientesten in einem Bereich zwischen 4.000 und 5.000 Umdrehungen pro Minute. Ein internes Reduziergetriebe sorgt dafür, dass der Motor in normalen Fahrsituationen sich konstant innerhalb dieser Spanne bewegt.
Den größten Gewinn aus dieser Einstellung zieht ihr, wenn ihr euch unabhängig vom Profil der Strecke, der jeweiligen Fahrgeschwindigkeit und dem Fahrmodus mit einer Trittfrequenz von rund 90 Umdrehungen pro Minute fortbewegt. Diese Empfehlung entspricht dem sportlichen Ansatz, den Specialized bei der Entwicklung von E-Bikes von Anfang an verfolgt hat. Und sie kommt dem Fahren mit einem E-Gravelbike wie Turbo Creo 2 absolut entgegen.
App und Bedieneinheit sind State of the Art
Während der Motor sich also grundlegend verändert hat, sind die dazugehörigen Unterstützungsstufen gleichgeblieben. Wie gewohnt, könnt ihr zwischen Eco, Sport und Turbo wählen. Trifft die Werksteinstellung der Stufen nicht euren Geschmack, könnt ihr sie mithilfe der Specialized App auf euren Fahrstil anpassen. Vielleicht nutzen nicht viele von euch gewöhnlich eine solche Option. In diesem Falle bietet sich dies durchaus an. Im Turbo-Modus begrenzt der Hersteller nämlich die Unterstützung ab Werk auf 80 Prozent. Wer daraus 100 Prozent machen möchte, kann den Umweg über die App nehmen.
Zur neuen Schaltzentrale für das E-Bike-System wird die Specialized MasterMind TCU. Der Name ist tatsächlich Programm. Denn die im Oberrohr integrierte Bedieneinheit zeigt euch weit mehr als nur solch allgemeine Angaben wie zum Beispiel die verbleibende Reichweite. Wer möchte, kann darüber Leistungsdaten wie die eigene Tretleistung in Watt sowie die Herzfrequenz in Echtzeit abfragen. Auf dieser Grundlage spricht das E-Bike-System sogar eine Empfehlung für eine optimale Trittfrequenz aus. Over-the-Air-Updates werden damit ebenso möglich. Und dank der kleinen, versteckt am Lenker angebrachten Taster braucht ihr für solche Dinge wie auch das einfache Wechseln der Unterstützungsstufe nicht extra zum Oberrohr langen.
Gewohntes Bild bei den Akkus
Neuer Motor. Neue Bedieneinheit. Alte Akkus. Klingt vielleicht etwas hart. Aber die Energiespeicher sind exakt die gleichen wie beim SL 1.1. Der fest im Unterrohr integrierte Akku verfügt über 320 Wattstunden. Trotz der identischen Kapazität soll sich die Reichweite dennoch erhöhen. Genau, der effizientere Motor schont die Akkuleistung. Specialized verspricht im Eco-Modus eine Strecke von 75 Kilometern auf leicht hügeligem Terrain oder 1.900 Höhenmeter.
Kennen dürften manche von euch ebenso den dazugehörigen Range Extender. In dem stecken 160 Wattstunden. Mit diesem Extra steigt die Reichweite unter identischen Bedingungen auf 112 Kilometer beziehungsweise 2.850 Höhenmeter an.
Flacher, tiefer, kürzer
Bei solch zahlreichen elektronischen Änderungen könnte man fast den Rahmen vergessen. Dabei ist auch der komplett neu. Vom Charakter her sollte er sich ein Stück weit von der Straße entfernt und an Geländetauglichkeit hinzugewonnen haben. Zumindest weisen ein flacherer Lenkwinkel, ein tieferes Tretlager sowie ein kürzer gewählter Vorbau darauf hin. Zugleich ist der vertikale Abstand von der Mitte des Tretlagers bis zur horizontal verlängerten Oberkante des Steuerrohrs angewachsen, sprich der Stack. Das sorgt für eine aufrechtere Sitzposition im Vergleich zum Vorgänger. So bietet ihr dem Fahrtwind eine größere Angriffsfläche, nehmt aber Druck von Händen, Nacken und Schultern. Vor allem auf längeren Touren sollte sich dieser gestiegene Fahrkomfort auszahlen.
Relaxed unterwegs
Erst recht, da zwei weitere Maßnahmen in dieselbe Richtung zielen. Gemeint ist erstens der geringere Q-Faktor. Der Abstand zwischen den Pedalarmen ist um zwölf Millimeter von 181 Millimeter auf 169 Millimeter gesunken. Aus Fahrberichten zum älteren Specialized Turbo Creo lässt sich ableiten, dass diese Änderungen auf große Zustimmung treffen dürfte. Der jetzige Wert kommt dem eines Fahrrades ohne E-Antrieb wesentlich näher. Für Menschen, die von einem herkömmlichen Gravelbike auf ein E-Bike umsteigen wollen oder sogar zwischen diesen beiden Arten hin- und herwechseln, erleichtert das den Umstieg merklich.
Für zusätzliche Entspannung sorgt die enorme Reifenfreiheit des neuen Rahmens. Specialized liefert das Modell mit 47 Millimeter breiten Reifen aus. Mit dieser Konfiguration bleibt sowohl zwischen den Gabelbeinen als auch im Hinterbau noch reichlich Platz. Ihr könnt maximal bis 54 Millimeter hinaufgehen. Das garantiert euch nicht nur jede Menge Traktion, sondern auch zusätzliche Dämpfung, wenn der Untergrund rauer wird. Übrigens, wer tatsächlich Pläne für ausgedehntere Touren im Kopf hat, kann mit dem Turbo Creo 2 recht bequem Gepäck mitnehmen. Neben den vom Bikepacking inspirierten großen Sattel-, Rahmen- und Lenkertaschen bleibt euch zudem die Option für klassische Gepäckträger am Hinterrad sowie Lowrider an der Gabel. Die nötigen Anschraubpunkte bringt das Bike mit. Sogar feste Schutzbleche könnt ihr montieren.
Federung direkt anpassbar
Noch mehr Fahrkomfort generiert Specialized seit einigen Jahren an bestimmten Rennrädern und Gravelbikes durch sein im Steuerrohr integriertes Federungssystem namens Future Shock. Auch hier hat Specialized technisch draufgesattelt. Zwar bleibt der Federweg weiterhin auf 20 Millimeter begrenzt. Allerdings wurde die Dämpfereinheit weiterentwickelt. So könnt ihr mittlerweile beim Future Shock 3.3 die Druckstufe über einen Drehregler während der Fahrt verändern. Es gibt eine Rasterung, die den Federweg erweitert oder verkürzt. Ein tatsächlicher Lockout ist jedoch nicht erreichbar.
Die im Rahmen eingelassene Kartusche arbeitet mit drei Federn verschiedener Härtegrade sowie bis zu fünf Vorspannungsscheiben. Je nach bevorzugtem Terrain, Fahrstil und Körpergewicht wählt ihr eine passende Feder aus und entscheidet, mit wie vielen der Vorspannungsscheiben ihr fahren wollt.
Modellreihe mit beträchtlicher Bandbreite
Welche Version des Future Shock am Turbo Creo 2 verbaut ist hängt davon ab, über welche Ausstattungsvariante wir reden. Die Spanne reicht von der edlen S-Works-Ausgabe für 13.000 Euro über das Expert-Modell für 8.500 Euro bis hin zum Einstieg mit dem Comp-Modell für 6.000 Euro. An dem findet ihr zum Beispiel Future Shock 3.2, das statt eines Drehreglers eine gewöhnliche Ahead-Kappe besitzt. Für die Preisunterschiede zwischen den Fahrrädern sind in erster Linie die Qualität der Laufradsätze, der Schaltungen und der Bremsen verantwortlich. Die Schaltsysteme sind alle durchweg auf elektronischer Basis. Aber es wird halt einmal komplett durch das Sortiment gegangen – von Komponenten der NX Eagle-Gruppe bis hin zu Red eTap-Komponenten. Auf das Gewicht wirkt sich das unter dem Strich gar nicht so stark aus, wie man annehmen könnte. Zwischen dem Specialized S-Works Turbo Creo 2 und seine 13 Kilogramm sowie dem Specialized Turbo Creo 2 Comp und dessen 14,5 Kilogramm liegen gerade einmal drei Packungen Margarine. Nur vom Gewicht her versteht sich 😉
Specialized Turbo Creo 2 im Überblick
- Varianten: S-Works Turbo Creo 2, Turbo Creo 2 Expert, Turbo Creo 2 Comp
- Rahmen: FACT 11r carbon
- Gabel: Future Shock 3.3, Future Shock 3.2
- Motor: Specialized SL 1.2
- Akku: Specialized SL1-320
- Display: Specialized MasterMind TCU
- Antrieb: Sram XX1 Eagle AXS, Sram Rival eTap AXS, Sram X1 Eagle AXS
- Bremsen: Sram Red eTap AXS, Sram Rival eTap AXS, Sram Apex eTap AXS
- Maximal zulässiges Gesamtgewicht: 125 kg
- Farben: Forest Green Speckle Over Carbon Dark Moss Green Fade Gloss Black Pearl Logos, Metallic Obsidian Obsidian, Black Pearl Birch Black Pearl Speckle, Harvest Gold Harvest Gold Tint, Deep Lake Metallic Deep Lake
- Preis: ab 6.000 Euro
Bilder: Specialized Bicycle Components, Inc.